Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
seine Freundschaft ist mir um so schätzbarer, da er ein edler, aufgeklärter Mann ist. Er kehrt zu Ende des folgenden Monats in sein Departement zurück und schlägt mir vor, bei ihm als Freund und Bruder zu leben. Ich habe mich nicht entschließen können aus Gründen, die Du Dir einbilden kannst, jedoch bin ich im Ganzen genommen noch unschlüssig. Lailhassoi, den Du aus den öffentlichen Blättern kennen wirst, und der auch Mitglied der Nationalversammlung war und aus Toulouse ist, hat mich ebenfalls eingeladen; ich hatte auf dieser Reise das Glück, diesen würdigen Mann wieder umarmen zu können.
Vor einigen Tagen ist
Wolzogen
hier angekommen, ich glaube, er hat Aufträge an das hiesige Gouvernement von dem Herzog. Daß Du
Marschall
gesehen hast, freut mich, ich beneide Dich in der Tat wegen dieses Glückes. Grüße mir ihn tausendmal und sage ihm: daß ich ihm verzeihen wolle Fürstendiener zu sein, wenn er seinen Einfluß auf seinen Fürsten dazu verwenden werde, die kleine Zahl der Untertanen desselben glücklich zu machen.
Deine Nachricht von
St. Sernin
freut mich. Du scheinst mir das Mitleiden, das ich über ihn äußerte, übel genommen zu haben – es tut mir leid – mein Mitleid erstreckt sich aber auf alle Emigrierten, die nicht feindlich gegen ihr Vaterland gehandelt haben – die übrigen verdienen alle den Galgen. Die französischen Prinzen handeln schändlich, das Schicksal des unglücklichen Königs ist besonders ihnen zuzuschreiben. Einige Sektionen, namentlich die von Luxembourg, und Theatre français oder jetzt Marseille, und die Sektion de l'Abbaye (die meinige) haben einen Eid geschworen, daß, im Fall der Konvent den unglücklichen Monarchen nicht zum Tode verdammen sollte, sie ihn selbst daniederstechen würden. So sehr groß ist die Anarchie, daß ein Haufe verrückter Kerls im Angesicht der Gesetzgeber sich über alle Gesetze erhebt. Sie träumen, eine unsterbliche Handlung zu begehen, sie sprechen von Brutus und Cäsar – gleich als fände eine Ähnlichkeit zwischen Ludwig und Cäsar statt, wovon jener in einer drückenden Gefangenschaft schmachtet, während dieser am Morgen seines Todestages mit einem Wort noch eine halbe Welt zittern machen konnte! Der Unterschied ist unendlich, und diese Elenden, statt an die Seite eines Brutus sich zu schwingen, werden unter die unterste Klasse gemeiner Mörder zurücksinken. Allein diese Leute sind der Überlegung unfähig, durch ihre Leidenschaften verblendet, glauben sie in die Fußstapfen der größten Söhne Roms zu treten und gehen den Weg gewöhnlicher Banditen – Adieu Republik, Adieu Freiheit! – wenn diese Leute nicht bald als Narren erklärt werden. Vorgestern wollte man eine kleine Wiederholung der Szene vom 2. September machen, allein man traf die nötigen Anstalten, um den teuflischen Projekten dieser Republikaner zuvorzukommen. Sie wollten die Sturmglocke läuten, Santerre und der Kommandant des hier befindlichen Marseiller Bataillons rüsteten sich aber zum Widerstand. Einige Sektionen, besonders die der Gardes français, haben diesen Entschluß laut mißbilligt; der Gemeinderat scheint aber nicht mit dieser Mißbilligung zufrieden zu sein; derselbe hat auch gestern den Schluß gefaßt, daß die Tempel-Kommissärs nichts mehr in ihren Berichten von der königlichen Familie erwähnen sollten, insofern es das öffentliche Mitleiden erregen könnte.
Schreibe
Marschall,
daß ich oft an ihn denke, und er mir doch auch einmal einige Linien schicken soll. Er wird darüber nicht in Ungnade fallen, wenn er nach Paris einen Brief schickt. Gib ihm so einen kleinen Auszug aus meinem Brief, und versichere ihn meiner aufrichtigsten Freundschaft.
Jetzt Adieu! mein liebster, mein bester
Reinhold!
Ich hoffe Dir in meinem nächsten Brief bessere Nachrichten von meiner Gesundheit geben zu können, die jedoch bei meinen tausend Bedrängnissen nicht so bald vollkommen hergestellt sein wird.
Weißt Du nichts von
van de Velden?
Grüße mir
St.
Sernin,
wenn er bei Dir ist, unbekannterweise.
Petif, Vellnagel, Dertinger,
was machen sie? Lebe wohl! Ewig Dein Freund
G. Kerner.
Fußnoten
1 Im Herbste 1799 ging Reinhold nach Berlin als Gesandter. Nach der Einverleibung Hollands lebte er in Paris als Privatmann, im Jahre 1813 war er Gesandter in Florenz, darauf Gesandter in Rom, wo er das Konkordat bis zum Abschluß vorbereitete. Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten wurde ihm angetragen, er nahm es aber nie definitiv an. Zuletzt ward
Weitere Kostenlose Bücher