Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
der Ausführung war nur der Weg, den sie von
Caen
nach
Paris
zurückzulegen hatte. Kaum hatte ihr Auge den Ort erblickt, wo die große Freveltat, die Ermordung der Freiheit, sich ereignet hatte – so stieß schon ihr rächender Arm den rächenden Dolch in
Marats
verbrecherische Brust. – Darf man sich noch wundern, daß sie gerade ihn wählte, ihn, der weit entfernt, gleich einem
Pache
seine scheußliche Seele zu verbergen, sie ebenso wie seine ekelhafte Figur zu Hülfe rief, zur Schau stellte, und so zum sichtbaren Mittelpunkte alles desjenigen machte, was sich zu Verbrechen und Greueltaten fähig fühlte. Seine Mordepisteln waren ihr bekannt, er mußte also fallen.
Lux,
der sich gerade in der Honoréstraße befand, als eine ungewöhnliche Bewegung auf den Straßen seine Aufmerksamkeit erregte, fragte nach der Ursache derselben. Man antwortete ihm, daß man die Mörderin
Marats
soeben zum Schafott führe – das heißt, das große Opfer einer bessern Welt übergebe.
Lux
blieb unter den Zuschauern.
Charlotte Corday
erschien, ihr Auge war mit einem Gemisch von Größe und Mitleiden auf die Volksmenge geheftet. –
Lux
las in ihren Zügen, was nur wenigen zu lesen vorbehalten war – sein Blick begegnete dem ihrigen – mehr bedurfte es nicht, um in dem Innersten ihrer Seele zu lesen und jene Harmonie entdecken zu können, die große Herzen in einem Moment auf Ewigkeiten verschwistert. – Man hatte ihm von einer aristokratischen Fanatikerin gesprochen; er fand eine Republikanerin, die, nachdem sie dem Rache fordernden Vaterland den hohen Tribut gebracht hatte, die Gesetze zu versöhnen, mit jenem Blick dem Tode entgegenging, die ihrem Wesen noch drei Schritte vor dem Schafott jene verklärte Gestalt zu geben schien, die ihr erst jenseits desselben zuteil werden sollte: man hatte ihm von einer alten Betschwester gesprochen, und er fand ein Mädchen in der vollkommensten Jugendblüte, ein Mädchen, dem die nahe Gegenwart des Todes keine der Rosen rauben konnte, die ihre Wangen schmückten – dem die jungfräuliche Sittsamkeit, gepaart mit Heldenmut und Schönheit, jenen unaussprechlichen Reiz gab, dem selbst der stupideste Fanatismus durch ein plötzliches Unterbrechen seines wilden Gebrülls und das Verbrechen durch eine dem schwachen Überrest von Menschlichkeit entschlüpfte Träne huldigen mußte.
Lux
folgte
Charlotten
bis an das Schafott, sein gut organisiertes ungeschwächtes Auge erblickte die kleinste ihrer Bewegungen, die Art, womit sie sich dem Schafott näherte und das Totengerüst bestieg, die sanfte Schamröte, die selbst das drohende Beil nicht zurückschrecken konnte, als die Blutknechte ihr den jungfräulichen Busen entblößten – nichts entging seinem spähenden Blicke: das Eisen fiel – sprachlos und wie vom Donner gerührt, stand er neben dem Trauergerüste und riß sich endlich nur mit Mühe von dem schrecklichen Schauspiel los. Noch ein Blick auf den enthaupteten Leichnam – und in eben dem Augenblick schlägt eine wilde Bestie das blutende Haupt ins Gesicht.
Die blutgierige Menge entrüstet sich selbst mitten in ihrer Blutgierde über die abscheuliche Freveltat –
Lux
teilt diese Entrüstung – sie erleichtert seine von Empfindungen bestürmte Seele und gibt ihm Stärke genug, seine Wohnung zu erreichen, wo er sich gänzlich dem Übermaße seines Schmerzes preisgab – und die empörende und seelenerschütternde Szene, der er beigewohnt hatte, tausendmal sich zurückrief, um tausendmal die nämlichen Martern zu fühlen. Jetzt war Schweigen in seinen Augen ein Verbrechen: er glaubte Frankreich und seinen Kommittenten eine getreue Darstellung der Dinge schuldig zu sein. Er wollte der Wahrheit ein Opfer bringen, das, wenn es auch für den Augenblick verloren ging, ein zu erhabenes Beispiel von erfüllter Bürgerpflicht war, um nicht von der Zukunft mit Nutzen aufgefaßt zu werden.
Während ganz Paris höchstens nur in dem Innern der Häuser von dieser Szene sprach und sie ebenso schnell vergaß, als es dieselbe gesehen hatte – stillschweigend die Heldin bewunderte oder laut sie verdammte – schrieb
Lux
eine Lobrede auf die erhabene Republikanerin und eine zweite Schrift über die Gegenrevolution am 31. Mai, deren Urheber er laut verabscheute, laut als Feinde der Freiheit, als Verräter der Republik verfluchte. Er entschloß sich, für die Wahrheit auf dem nämlichen Schafott zu bluten, wo
Corday
von Vaterlandsliebe entflammt ihren Geist aufgegeben hatte. Er entschloß sich, dem
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