Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Vater und brachte ihm bei, daß der Herzog nur aus Schonung für
ihn
seinem Sohne im Stillen den Befehl erteilen lasse, so bald als möglich wieder über die Grenze zu gehen. Es erfolgte kein Abschied von dem Vater mehr.
Kaum gewann meine Mutter noch Zeit, dem Sohn Kleider und Weißzeug auszubessern. Mit einer kleinen Summe Geldes, das die Mutter ihm ohne Wissen des Vaters zusteckte, trat er die Fußreise gegen die Schweiz an, aber als er nach
Aldingen,
in die Gegend von Balingen kam, befand sich dort ein österreichischer Kordon, welchem er verdächtig erschien. Dieser nahm ihm seine Papiere ab, die allerdings von der Art waren, daß sie seine Lage sehr erschwerten. Er wurde nun ins Gefängnis gebracht, wahrscheinlich zu einem schmählichen Tode bestimmt, da erschien in der Mitternacht der Schultheiß des Orts, er hieß
Meßner,
im Gefängnis. Er hatte Kleider eines Mädchens aus der
Baar,
blauen Rock, rote Strümpfe und eine Haube für ihn mitgebracht, gab ihm einen Korb auf den Kopf und hieß ihn so aus dem Gefängnis mit nach Hause gehen. In diesem Anzug setzte er noch vor Tagesanbruch in Begleitung eines Knechts des Schultheißen seine Reise durch die österreichischen Truppen bis zu einem benachbarten Orte, wohin sie sich nicht mehr erstreckten, fort, und so kam er nun bald über die deutsche Grenze in die Schweiz. Nach kurzem Aufenthalt daselbst kam er zu Anfang Januars wieder in Paris an.
Korrespondenzen, die er nach Hamburg und in
Usteris
politische Monatsschrift einschickte, beschäftigten und unterhielten ihn. Er wohnte den bekannten Bewegungen bei, die im Frühling und Sommeranfang statthatten. Am 1. Prärial fiel er beinahe unter dem Mordstahl eines irregeleiteten Volkshaufens und entrann nur mit Mühe der Gefahr. – Von seinen späteren Schicksalen wird noch die Rede sein. Die hier erzählten fielen in mein frühes Knabenalter, in die Zeit wo ich oft, im Schlafzimmer meiner Eltern liegend, sie noch in stiller Nacht mit Sorge von diesem meinem der Heimat ungetreuen Bruder reden hörte, dessen Schicksale sich meiner jugendlichen Phantasie in bunten Farben einprägten.
Mein Bruder Louis
Das Wesen meines zweitältesten Bruders
Louis
war eine unsägliche Gutmütigkeit. Er war wie der Bruder Georg, schnell aufbrausend, aber sein Feuer zündete nicht, er war zu gutmütig und zu ängstlich. Er hatte das Gemüt der Mutter seiner eigentlichen Natur nach. Mit diesem wollte er am schlüpfrigen Freiheitsbaume der neunziger Jahre hinauf, aber es fehlte ihm die Leichtigkeit des Bruders Georg, er glitt bald wieder herunter, was oft komische Szenen veranlaßte. Er war klein wie der Bruder Georg und die Mutter, war aber bei seiner Kleinheit korpulent und hatte nicht Georgs feine Vogelknochen, auch nicht dessen Flügel zum Aus- und Aufflug.
Es trieb ihn immer eine innere Unruhe und Unzufriedenheit, aber er konnte nichts zur eigentlichen Ausführung bringen. In eine Schreckenszeit taugte er nicht, und doch trieb es ihn immer zu ihr hin, wie den Schmetterling zum versengenden Lichte. Er hatte das Studium der Theologie kaum im Stifte zu Tübingen angetreten, als es ihm beifiel, der Stand eines Kaufmanns sei doch ein glücklicherer, freierer, als der eines Pfarrers, und so erklärte er in der ersten Vakanz dem Vater in Ludwigsburg, er wolle Kaufmann werden.
Nun ja, sagte mein Vater, ich will dich die Probe machen lassen, und unser braver Nachbar und geschickter Kaufmann, Herr
Sprößer,
soll dich mit in die große Handelsstadt Frankfurt nehmen, wohin er jetzt zur Osterzeit auf die Messe reiset; da beschau dir denn auch vorher das Leben eines kaufmännischen Lehrlings, denn damit mußt du doch erst den Anfang machen; gefällt dir solches, kannst du sogleich dort bleiben. Herr
Sprößer
nahm nun den Bruder Louis um diese Zeit mit sich nach Frankfurt. Die Reise gefiel ihm gar sehr und auch die Stadt Frankfurt. Nun führte aber Herr
Sprößer,
welcher die geheimen Gesinnungen meines Vaters in dieser Sache wohl wußte, ihn in eine enge finstere Gasse. Dort stand ein kleines Haus, das am Fenster im Erdgeschosse heraushängende Heringe und Tabacksrollen als die Wohnung eines Spezereihändlers bezeichneten. Hier müssen wir hinein, lieber Herr
Louis,
sagte Herr
Sprößer:
denn da wird, wie ich so eben im Gasthofe zum Weidenbusch im Frankfurter Anzeiger las, ein tüchtiger junger Mensch in die Lehre gesucht. Und da gehe ich nicht hinein, sagte
Louis.
Nun, es ist kein Muß, daß Sie dann bleiben sollen,
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