Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Ludwigsburg gelegenen Lustwalde, dem sogenannten
Osterholze,
ein Forsthaus.
Dahin machten wir öfters in Begleitung meiner Eltern Spaziergänge. Er hatte eine Tochter vom gleichen Alter meiner jüngsten Schwester, die mit ihr innige Freundschaft hielt. Da sie keine Mutter mehr hatte (dieselbe lebte getrennt von ihrem Manne), blieb sie oft Wochen lang bei uns. Von diesem Osterholze ist mir noch eine Begebenheit erinnerlich, die ich meinen Vater öfters erzählen hörte:
Ein Oberst
von Dedell
war unser Nachbar und pflegte oft mit meinem Vater Spaziergänge zu machen.
Einmal ging er mit ihm in Begleitung jenes Forstmeisters im Osterholze spazieren, der Forstmeister wollte ihnen eine besonders schöne Buche zeigen, die Tags darauf gefällt werden sollte. Bedeutungsvoll blickte Herr
von Dedell
an dem Baume auf und nieder, und sprach mit einem besondern Ausdruck: »Schade, daß dieser Baum fallen muß!«
Der Forstmeister und mein Vater vertieften sich hierauf im Weitergehen in ein Gespräch, und vermißten ihren Begleiter nicht, bis sie einen Schuß vernahmen. Er hatte sich ohnweit jenes Baumes im Dickicht des Waldes eine Kugel vor den Kopf geschossen. Sein Anblick war herzzerreißend. Der Grund seines Selbstmordes soll hauptsächlich Vermögenszerrüttung gewesen sein.
So oft ich mit meiner Schwester und dem Fräulein vom Osterholze (so nannte man die Tochter des Oberforstmeisters) in jenem Walde spielte oder Blumen suchte, gingen wir mit Schauder schnell an jener Stelle vorüber, wo der Unglückliche den Tod fand, die ein Baum, in den ein Kreuz geschnitten war, bezeichnete.
Es hatte aber auch diese Waldanlage ohnedies etwas Unheimliches, Schauderhaftes. Mitten in ihr, in großer Verlassenheit, steht ein Schlößchen, das schon damals in seinem Innern sehr öde und zerfallen war. Wir öffneten seine Türen stets mit Schauern. Gemeiniglich von Fledermäusen und Eulen zurückgeschreckt, verließen wir es schnell wieder und befürchteten, es folge uns etwas Gespenstisches aus ihm nach.
Von dem Osterholze aus besuchte ich auch oft mit meinem Vater und meinen Schwestern die Feste
Asperg.
Das Merkwürdigste war mir daselbst des Dichters Schubart Gefängnis. Es stand auf dem höchsten Punkte dieses Berges 1128 Fuß über der Meeresfläche und heißt das Belvedere, denn die Aussicht auf ihm ist prachtvoll. Der größte Teil Württembergs, besonders die Gefilde des untern Neckars mit ihren Städten, Dörfern und Burgen liegen hier im schönsten Lichte ausgebreitet. Der arme Sänger saß tief unten in einem kleinen Gewölbe, wo nur wenig Licht und Luft, jedenfalls keine Aussicht ins Freie war.
Welche Tantalusqual müssen für ihn die Ausbrüche von Bewunderung und Freude der Besucher dieses Belvederes über ihm beim Anblick dieser schönen Natur gewesen sein, drangen sie zu ihm hinab in den dunkeln verlassenen Kerker, in welchem er so viele Jahre lang saß.
Der nachherige König
Friedrich
(damaliger Erbprinz) bewohnte ein eigenes Palais in Ludwigsburg, das nun das Museums-Gebäude ist. Seine zwei Söhne,
Wilhelm
und
Paul,
wurden bei und von ihm erzogen, und er schien gegen sie ein so strenger Vater gewesen zu sein, als der meinige gegen meine ältern Brüder war.
Meinen Vater schätzte er als Mensch und Beamten sehr, und ich wurde öfters als Gespiele zu den Prinzen in den Garten an ihrem Palais gerufen. Ich erinnere mich, daß ich im Spiele mit ihnen öfters, wie sie auch, bald den Kutscher bald das Pferd machte.
Das von Mauclersche Haus und das meiner Eltern stand damals auch in Freundschaft mit einander. Der ältere Sohn war schon bei Errichtung der jungen Landmiliz manchmal mein Exerziermeister gewesen. Lange konnte ich nicht begreifen, was rechts und links sei, bis er mir, um es mir recht ins Gedächtnis zu prägen, von meinen Spielsachen ein Dächlein auf den rechten Arm und ein Häuslein auf den linken band.
Es war dies der nachmalige Minister-Präsident. Seinen jüngern Bruder traf ich zu
Tübingen
wieder. Er hielt sich damals als junger Forstbeamter zu Bebenhausen auf, war ein gemütlicher herzlicher Mensch, dessen trauriges Verhängnis und Tod mir große Schmerzen machte.
Wie es eines besondern Mittels bedurfte mir einzuprägen, was links und rechts sei, so war auch alles Lernen für mich in früherer Jugend sehr schwer, und immer überwog das Gemütsleben das Intellektuelle in mir. Auch sonderbare Vorurteile, die der Verstand leicht hätte bezwingen können, prägten sich mir oft lange und fest ein. So
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