Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
der vielen hundert Lichter wohl kaum denken. Ich sah es natürlich nie in seiner Beleuchtung, sondern geradezu immer nur bei verschlossenen Türen und Läden, wo aber seine Wirkung für die Phantasie eines Knaben gewiß noch viel wunderbarer und zauberhafter war.
Trat man hinein, so sah man sich, wenn auch im Dämmerlichte, viel hundertmal wieder und man glaubte auf einmal das ganze Theater von seinem eigenen Ich bevölkert zu sehen. Oft drang nach dem Zuge der Wolken von außen wieder ein heller Sonnenstrahl durch die Ritzen und Spalten der Türen und Läden; dann widerstrahlte das Haus oft in Farben des Regenbogens oder entstand sonst eine magische Beleuchtung.
Dabei standen noch aus alter Zeit halbzertrümmerte Bilder von Ritterrossen, Elephanten und Löwen umher. Oft flohen wir, durch all diese Erscheinungen im Innern dieses Zauberhauses fast zur Verwirrung gebracht, schnell hinaus an den hellen klaren Tag. – Ich glaube, daß es das Jahr 1800 war, wo dieses Riesengebäude seiner Größe und Baufälligkeit wegen völlig abgebrochen wurde und später die jetzigen Anlagen (königliche Schloßgärten) seine Stelle einnahmen.
Mein Vater war ein großer Freund der Baumzucht. Abends nach des Tages Mühe und Last eilte er meistens in seine Gärten. Ein kleiner Garten war hinter der Oberamtei, in welchem ich auch ein Plätzchen zum Anbau bekam. Ich erinnere mich aber nicht, daß ich es mit Blumen bepflanzte, sondern immer mit Salat. Einen großen Garten als Eigentum besaß mein Vater eine Viertelstunde vor der Stadt, vor dem Tore, das auf die Solitude führt, in dem sogenannten Lerchenholze. Dahin wanderte ich oft abends zwischen den herzoglichen Gewächshäusern und dem See hin, und hielt mich da oft, während der Vater vorausging, nach den Orangebäumen und Blüten durch die Fenster schauend, zurück, oder sah ich dem in dem See schwimmenden Geflügel zu.
Der Garten war mit einer großen Mauer umgeben und enthielt Baumschulen und Bienenhäuser.
Sobald mein Vater da ankam, legte er Hut und Stock in dem kleinen Gartenhause nieder, zog seinen Rock aus und eilte mit Messer und Säge versehen zu seiner lieben Baumpflanzung. Hier wurde nun alles aufs genaueste in Ordnung gebracht, gebunden und mit großer Strenge beschnitten. Bäume, die im Wachstum sich krümmen wollten, waren ihm ein Greuel, alles mußte aufrecht und in gerader Linie stehen. Man sah in diesem Tun und Lassen, in diesen Pflanzungen ganz seine Liebe zur Ordnung und strengen Zucht. Durch Inokulation und Impfung veredelte er die wilden Stämme, die er meistens selbst aus den Kernen zog, und führte über alles Kataloge. Ich habe auch kein üppigeres Obst mehr gesehen, als ich damals sah. Pfirsiche, Kirschen, Birnen und Äpfel waren in den seltensten größten Arten vorhanden. Kirschen hatte er vom Mai bis in den September, und nie sah ich die sauern Weichsel mehr in dieser Größe und Vollkommenheit wieder. Es wurden, besonders mit letzteren, an Freunde und an die Tafel des Herzogs öfters Geschenke gemacht.
Man pflegte Kirsche um Kirsche mit etwas abgeschnittenem Stiele, der nach innen gekehrt sein mußte, in einen großen blechernen Trichter zu legen, den man, war er bis zum Rande gefüllt, auf einen mit Weinlaub bedeckten Teller umstürzte, worauf auf dem Teller eine Pyramide von Kirschen stand. Solche Teller wurden dann zur Kirschenzeit in Menge in befreundete Häuser geschickt, denn es waren Sorten, die sonst selten zu finden waren. Auch der schwarze Maulbeer war ein Lieblingsbaum meines Vaters, und vom Gemüsegarten pflegte er besonders die Artischocken und Spargeln. Außer meinem Vater war auch damals in Ludwigsburg sein Neffe, der Amtsschreiber
Heuglin,
ein großer Beförderer der Obstzucht, und diesen zwei Männern verdankt Ludwigsburg noch heute seinen Ruhm von ausgezeichnetem Obste. Auch der Vater Schillers arbeitete in Ludwigsburg schon in noch früherer Zeit für die Baumkultur.
Die Mutter meines Vaters lebte längere Zeit als Witwe in einem besondern Hause der Stadt. Das Alter vermochte nicht in ihren Zügen das Bild weiblicher Hoheit zu tilgen. Sie wurde blind und unterwarf sich einer Operation ohne Erfolg. Was von ihr erzählt wurde, spricht von einem ungewöhnlichen Geiste.
In der Nacht ihres Blindseins hatte sich ihr Ahnungsvermögen aufs äußerste geschärft, sie hatte voraussagende Träume und soll, besonders was die nach Jahren folgende französische Revolution betrifft, vieles überraschend vorausgesagt haben. Sie setzte einen
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