Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
hatte ich einen Kameraden, den ich herzlich liebte; er war der Sohn eines Malers Perneaux aus der herzoglichen Porzellanfabrik. Ich kam oft in seine Wohnung, die nächst der Oberamtei war. Die Verfertigung der nachher so berühmt gewordenen Porzellanfigürchen, mit deren Modellierung und Malerei sein Vater und seine Brüder sich beschäftigten, bannte mich oft Tage lang in sein Zimmer; aber hätte ich daselbst auch den größten – Hunger und Durst erlitten: ehe ich etwas aus diesem Hause getrunken oder gegessen hätte, wäre ich lieber gestorben; denn ich wußte, daß die Leute katholisch waren, worunter ich mir etwas ganz besonderes dachte, ohne daß ich von meinen Eltern je gelernt hätte ein solches Vorurteil zu hegen. Und doch war mir nichts anziehender als die katholische Kirche im Schlosse, die sich oft besuchte und es immer darauf einzurichten wußte, daß mich der Geistliche im Vorübergehen gewiß mit dem Wasser des Weihwedels besprengte, obgleich ich das Wasser in jenem katholischen Hause nicht trinken wollte.
Einen langen alten Sprach- und Fechtmeister, einen katholischen Franzosen, Namens
Martel,
der in der Stadt kein Fortkommen mehr fand, hatte mein Vater mit Sack und Pack ins Haus aufgenommen. Er war einst Leibgardist unter Ludwig XV. Meinen Brüdern erteilte er in den Vakanzen Unterricht im Fechten und in der französischen Sprache. Er wurde bald sehr elend und altersschwach. Nächtlich verfiel er oft in Träume aus seiner vergangenen Zeit, stand als schlafwach auf, kleidete sich an, nahm seinen Degen und postierte sich mit solchem, im grauen Schlafrocke, hoher Zipfelkappe, eine lange, abgezehrte graubärtige Gestalt, wachestehend vor die Türe seines Zimmers; wie er es in vergangener Zeit im Schlosse zu
Versailles
tun mußte, und so fand man ihn eines Morgens mit dem Degen in der Hand, vor der Türe tot.
Mein Vater ließ auf seinen Sarg seinen Degen und zwei Lilien aus unserm Garten legen, und wohl erinnere ich mich seines Leichenbegängnisses nach damaliger Weise, bei der Nacht mit Fackeln.
An den Lehrern der lateinischen Sprache, die damals in
Ludwigsburg
waren, konnte man wenig Lust haben (Schillers Lehrer, Jahn, unterrichtete damals nur ältere Knaben), sie waren höchst pedantische Menschen, mit schmutzigen baumwollenen Kappen und langen Haselnußstöcken, deren Bemeisterung ich durch Lug und Trug zu entgehen suchte. Dabei wurde natürlich wenig gelernt. Mein Vater wußte das wohl, aber seine Strenge schien sich an meinen Brüdern gebrochen zu haben, er übte gegen mich keine mehr, liebkoste mich und seufzte. An den Abenden, wo uns das Christgeschenk zuteil wurde, das oft sehr reichlich in seiner hellen Beleuchtung ausfiel, wo alles sich der Freude hingab, setzte sich mein Vater gemeiniglich im einsamen Zimmer in seinen Lehnstuhl und war sehr traurig. Es ist eigen, daß mich das gleiche Gefühl an den Freuden desselben Abends, durch mein ganzes Leben immer auch befiel. Mein Vater war Freimaurer und hielt auf diese Verbrüderung. Es war in unserem Hause ein eigenes Zimmer, das zur Freimaurer-Loge bestimmt war, man hielt es vor uns Kindern immer sehr verschlossen. Ich merkte aber bald eine Heimlichkeit und sah oft durch das Schlüsselloch und die Spalten der Türe; da sah ich Meublen, wie wir sie sonst nicht im Hause hatten. Es waren weißlackierte Sessel mit Armen, sie waren mit himmelblauer Seide gepolstert und hatten goldne Borten und Franzen. In der Mitte des Zimmers stand ein runder weißer Tisch mit schwarzer Marmorplatte, worauf ein Totenkopf und ein Winkelmaß lag, auch einen besondern Sitz, ebenfalls himmelblau, über den eine himmelblaue Draperie mit goldnen Franzen hing, bemerkte ich. An der Wand sah ich ein Schurzfell von weißem Leder, worauf allerlei schwarze Zeichen gemalt waren.
So mysteriös, wie dieses Zimmer, doch ganz feenartig und wunderbar, kam mir als Kind das damals noch stehende, aber ganz verlassene und verschlossene ungeheure Opernhaus vor, das Herzog
Karl
mit unsäglichen Kosten und in ungeheurer Eile zu seinen großen Opern und Festzügen, in welchen ganze Regimenter zu Pferd über die Bühne zogen, dahin erbauen ließ, wo in den sogenannten Anlagen hinter dem Schlosse jetzt der Spielplatz ist. Es ist bekannt, daß dieses wohl das größte Opernhaus in Deutschland war. Es war in seinem ganzen Innern völlig mit Spiegelgläsern ausgekleidet, alle Wände, alle Logen mit ihren Säulen waren von Spiegelgläsern. Man kann sich den Effekt eines solchen Hauses im Glanze
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