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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justinus Kerner
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angelegt und vorzüglich mit Rosen aller Art bepflanzt hatte. Der Flieder an der Kirchhofmauer und die Rosen des Gärtchens an ihr bogen ihre Häupter zu einander. Mitten im Gärtchen aber, versenkt unter den Rosen, war ein Bauer, in dem immer eine Amsel die Melodie sang: »Pflücket die Rosen, eh' sie verblühn!« – Ich hörte manchmal, wie die Melodie dieses Vogels sich mit dem Trauergesange über der Mauer vermischte.
    Unter Blitzen, Donnerschlägen und strömendem Regen kehrten wir wieder zu den Frauen zurück.
     
Die magnetischen Träume und die allmählige Genesung
     
    Die Frauen hatten nichts eiligeres zu tun, als mich auskleiden und ins Bett bringen zu lassen, wo man mir, noch ehe man mich allein ließ, ein paar Tassen Hopelpobel anzwang. Mein Bett stand nächst einem Fenster, das zu der schönen alten Kirche am Markte und ihrem künstlich erbauten vielfach durchbrochenen Turme, auf dessen Spitze ein Ritterbild stand, sah. Der Sturm hausete besonders von diesem Turme her in den sonderbarsten schauerlichsten Tönen; denn an verschiedenen Seiten des Turmes waren Schalllöcher angebracht, die, wenn der Sturm in sie blies, schauerliche Töne stoßweise über die ganze Stadt verbreiteten. Von Blitzen erleuchtet standen Turm und Kirche bald in Feuer, wie auf Goldgrund mit ihren schwarzen Umrissen; bald verschwanden sie wieder in die finsterste Nacht. Als aber die Wolken sich entleert hatten, trat der Mond an den reinen Himmel, und Kirche und Turm standen in einer Schönheit vor mir, wie ich Gebäude der Art noch nie sah. Lange verweilte mein Blick auf ihr und spielte meine Phantasie mit den schönen Umrissen des Turmes mit seinen Steingebilden, grotesken Köpfen von Tieren und Menschenfratzen, die als Köpfe von Rinnen aus ihm ragten, und mit seiner künstlich durchbrochenen Wendeltreppe, die sich um ihn fast bis zu seiner Spitze mit dem auf ihm stehenden Ritterbilde schlang. Die vom Monde erhellten Kirchenfenster malte ich mir in Gedanken selbst mit den buntesten Bildern aus. Nach und nach gingen aber alle diese Bilder mit mir in Schlummer und Traum über. (Und nun sei mir erlaubt, hier das erstemal in diesen Blättern Dichtung mit Wahrheit zu verbinden und den Traum, den ich da von dem auf dem Turme stehenden altdeutschen Bilde, von meinem Bruder Georg und von den Bildern auf den Fenstern der Kirche hatte, und der mir in völliger Klarheit nicht mehr erinnerlich ist, so wieder zu träumen.)
    Mir träumte: ich stand an der vor mir liegenden Kirche. Es war Mondschein, alles stumm und tot. Ich sah an dem Turm empor; da sah ich wie das Steinbild, das auf seiner Spitze steht, sich bewegte, ja wie es endlich einen Fuß über den Turm hinausstreckte, wie einst Kaiser Maximilian auf dem Kranze des Ulmer Münsters. Aber noch mehr erstaunte ich, als das Steinbild die durchbrochen daliegende Wendeltreppe des Turmes sichtbar und hörbar hinabstieg, immer näher nach unten kam, bis ich endlich seinen Gang durch die Kirche hörte. Die Türe der Kirche öffnete sich und da stand das Bild vor mir, war aber kein Steinbild mehr, nicht mehr der Ritter (ich hielt dieses Bild für den Ritter St. Georg), diesen sah ich wieder oben stehen, sondern es stand mein Bruder Georg vor mir, der noch lebte und sagte: »Siehe da auf die Uhr, die Böcke stoßen sich zwölfmal, der Hahn kräht und der Engel posaunet, da war meine Zeit um.«
    (Mein Bruder Georg starb im Jahre 1812. Der Traum, der mir ihn auf der Spitze des Turmes in der Gestalt jenes Steinbildes, das den Fuß noch über den Turm hinausstreckte, figurierte, wollte wohl mit sein Leben andeuten, in dem er so oft Wagnisse begann und auf schwindelnder Höhe über Abgründen stand.)
    Der Traum ging aber noch weiter. Ich trat in die Kirche; sie war hell vom Monde beleuchtet, und besonders brannten die Glasgemälde ihrer Fenster in nie gesehener Farbenpracht. Die Bilder in den Gemälden, die ich auf ihnen erblickte, waren aber völlig lebend und bewegten sich. Wie Bilder einer Laterna magica kamen sie, je nachdem der Mond schien, mir völlig nahe und traten dann in Lebensgröße wie von den Fenstern heraus in die Kirche, bald schwebten sie wieder zurück und wurden klein, doch je kleiner je heller, lebendiger und beweglicher. Es waren aber diese Bilder keine Bilder von Heiligen, sondern von Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, die aber in spätern Jahren meines Lebens und besonders in dieser Stadt mir vorkamen und tief in mein Leben eingriffen, was ich freilich jetzt noch nicht

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