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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justinus Kerner
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Neckar habe ihn stets sehr angestrengt, denn da habe ihn das Wasser immer so angezogen. Ich sagte zu ihm: er werde wohl nur geträumt haben, daß er so fliegen könne, und wachend es glauben; da versetzte er: o nein, er habe zwar auch schon geträumt, er fliege; aber da habe er immer den Tag über Kummer gehabt.
    Fliegen im Traume bedeute nicht, daß Kummer komme, sondern man habe Kummer, wenn man im Traume fliege. Diese Beobachtung erwies sich mir in meinem nachherigen Leben als sehr wahr. Er wurde durch seine Flugversuche arm, irre und starb im Elend. Er gab mir Veranlassung zu meinem Spiele: »Der Totengräber von Feldberg« in den Reiseschatten. Das Männlein hieß Hartmayer; man nannte es aber Flugmayer.
    Außer den hier angeführten Originalen gab es damals in Ludwigsburg noch manche andere; aber sie stehen mir nicht mehr so hell im Gedächtnis, wie jene.
     
Der närrische Hausschneider und Jung Stillings Vorübergehen
     
    Mit dem Komptoir-Gebäude der Tuchfabrik war das Waisenhaus und das Zuchthausgebäude und auch ein Gebäude für die Irren verbunden. Weiter oben stand die Kirche für all die Bewohner dieser Gebäude. Sie alle waren mit einer Mauer umschlossen und hatten nach ihnen Hofräume und Gärten, nach außen befand man sich in der langen sogenannten Schorndorfer Straße, die nach dem Kirchhofe und dem Dorfe Oßweil führte. Von der eigentlichen Stadt war man durch den Schloßgarten und links durch die langen Alleen abgeschlossen. Am Haupteingange besagter Gebäude, einer großen Türe, war rechts ein Zimmer angebracht, in welchem ein Schneidermeister mit seinen Gesellen arbeitete. Er hatte den Titel eines Hausschneiders und mußte zugleich den Portier machen und ein Augenmerk auf die Aus- und Eingehenden richten, denn dies war das einzige Tor (wenigstens für die Fußgänger), durch welches man in alle diese Gebäude und Anstalten kommen konnte. Der damalige Hausschneider hieß Noä. Durch Lesen aller möglichen Bücher aus der Leihbibliothek des Antiquars Nast hatte er einen Anstrich von Bildung erhalten; er verstieg sich sogar in die Schriften von Kant, fiel aber von dieser Höhe bald herab und blieb an den Schriften von Sintenis hängen. Er spielte den Freigeist und bekam einen lächerlichen Stolz. Dieser Noä kam eines Abends, als ich dichtend und nähend auf der Leiter saß, zu mir und erzählte: So eben sei auch ein Schneider zum Tore herein, der mehr Aufsehen mache, als er verdiene; das sei einer, der lieber in der Hölle, (der Sitz auf dem die Schneider sitzen, und in den sie ihre Füße stecken, wird so genannt) aus der er hervorgegangen, hätte bleiben sollen, als daß er einem die Hölle mit seinen abergläubischen Schriften heiß mache. Da sei Sintenis, von dem man nicht so viel rede, ein höherer Geist. Er sehe aus wie ein verhungerter Schulmeister, mache den Augenschneider, wolle, selbst blind, Blinden den Star stechen. So machte er lange fort, bis ich endlich von ihm herausbrachte, daß
Jung Stilling
mit seiner Gattin in Begleitung des Waisenpfarrers vor einer Stunde durch das Haus gegangen sei, um sich die Anstalten zeigen zu lassen.
    Ich hatte damals von
Stilling
noch weniger gelesen, als der Schneidermeister, aber dennoch trieb es mich von der Leiter, den Mann zu sehen. Ich trat in den Hof hinaus, und da kam er gerade mit seiner Gattin, in Begleitung des Waisenpfarrers
Schöll,
im Rückwege begriffen, die Allee von der Waisenhauskirche herab. Ich stellte mich unter das Tor, und die lange interessante Gestalt mit der eigenen hohen Stirne, der Adlernase und den Liebe und Sanftmut strahlenden Augen, zog an mir ganz nahe vorüber und prägte sich mir tief ins Gemüt ein. Ich sah ihn da zum ersten und zum letztenmal, ihn, den ich in späteren Jahren, und als er nicht mehr auf Erden war, erst kennen und verehren lernte. Dennoch trachtete ich auch da noch nicht, seine Schriften kennen zu lernen, obgleich ich schon damals, wenn auch nicht seinen christlichen, doch seinen pythagoreischen und platonischen Glauben an eine Seelenwanderung der Geister und an ein Mittelreich hatte. Aber des Schneiders Spott über diesen Mann konnte ich, als ich sein Auge gesehen, nicht mehr ertragen; ich kehrte ihm, so oft er wieder von ihm zu reden anfing, den Rücken.
    Später, als ich schon in Tübingen war, erschien dieser Schneidermeister auf einmal zu Pferde bei einem Manöver der königlichen Truppen, in Gegenwart des Königs, unter der Generalität. Man merkte, daß es mit dem Schneider nicht richtig

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