Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
dem ausgespannten Papiere.
Spaziergänge.
Die Veste Asperg, Wolf und Bilfinger.
Studium der Natur
An solchen Sonntagen, an denen wir Freistunden hatten, machten wir zwei hie und da Spaziergänge, auf welchen wir immer auch eine Camera obscura (wir hatten eine kleine tragbare verfertigt) zum Nachzeichnen der Gebäude, der Baumgruppen usw. mit uns führten. Sehr oft nahmen wir den Weg zur Veste Asperg, wo mein Brüder
Louis
sich als Garnisonpfarrer befand.
Am Gitter eines Gefängnisses erblickte ich da manchmal den, wegen unverzeihlicher Übergabe der unüberwindlich erschienenen Veste Hohentwiel, eingekerkerten Obristen
Wolf.
Mit heiserer Stimme hörte ich den alten Mann einmal an seinem Gitter schreien: »Gnade! Gnade!« Es war, als der Herzog durch den inneren Raum der Veste fuhr. Von da an durfte er nicht mehr am Gitter seines Kerkers erscheinen.
Mehr Bedauern erregte in mir und allen der Genosse seines Unglücks, der General von
Bilfinger,
obgleich sich dieser in keinem Kerker, sondern unter der Veste im Dorfe Asperg, nach Konfiskation seines Vermögens auf immer dahin konfiniert, befand.
Bilfinger,
an Körper und Geist durch Alter schon geschwächt, war Kommandant der Veste Hohentwiel; aber da man seinen Kräften nicht mehr traute, schickte man ihm bei ausgebrochenem Kriege den Obristen
von Wolf
zu. Aus Achtung vor
Bilfingers
früheren Verdiensten und militärischen Kenntnissen ließ man ihm den Namen eines Gouverneurs und die erste Unterschrift, aber Oberst
von Wolf
war der für alles verantwortliche Kommandant.
Diese Bergveste war, wie bekannt, so beschaffen, daß man sie mit Steinen hätte verteidigen können. Wie in dem Felsenneste eines Vogels Greif saß ja der ritterliche
Wiederhold,
sie weder an Feind noch Freund übergebend, jahrelang einst ein tapferer Wächter in ihr. Sein Beispiel sollte nicht wiederholt werden. Es bedurfte nur eines Trompeters, den der französische General
Vandamme,
der an ihrem Fuße vorüberzog, im Scherze, sie zur Übergabe auffordernd, hinaufschickte, daß ihr Kommandant
Wolf
sogleich ins Quartier
Vandammes
herabspazierte und eine schimpfliche Kapitulation abschloß, die auch der altersschwache
Bilfinger
und die andern Offiziere unterzeichneten.
In späteren Feldzügen, wo mein Bruder
Karl
öfters mit
Vandamme
zusammen kam, erzählte ihm dieser, wie die Geschichte mit der Veste Hohentwiel, die Absendung eines Trompeters zu ihrer Übergabe von ihm und seinen Offizieren ein wahrer Scherz gewesen, und wie sie an die Übergabe dieses durch die Natur unüberwindlichen Felsennestes nie im Ernste gedacht hätten.
Wolfs
Schicksal erregte das Bedauern, das man auch mit einem Schuldigen hat; mindere Schuld aber konnte man dem durch Alter und Krankheit ganz schwach gewordenen
Bilfinger
beimessen, zumal diesem ja
Wolf
eben wegen seiner Gebrechlichkeit amtlich substituiert worden war.
Es war mir traurig, den alten Mann, einst einen gelehrten und hochgeehrten Militär und Lehrer in der Karlsakademie, in diesem Dorfe (wo ich ihn einmal mit meinem Bruder besuchte) in einem Bauernstübchen noch unter Karten und militärischen Zeichnungen, abgemagert und hohläugig in tiefem Nachsinnen, wie von einer vergangenen Zeit träumend, auf einer hölzernen Bank vor einem wackelnden Tische sitzen zu sehen. Alles war ihm genommen, und zu seinem täglichen Unterhalte waren ihm nur wenige Kreuzer ausgesetzt. Hätte ihn dieses Los allein getroffen; aber es traf noch eine andere Person, die noch unschuldiger als er war; es traf die Konfiskation seines Vermögens auch ein Fräulein
Voßler,
das der General von Kindheit auf (es hieß als natürliche Tochter) zu sich aufgenommen und aufs sorgfältigste erzogen hatte. Sie lebte in Ludwigsburg, hatte früher und später oft unser Haus besucht und gehörte zu den merkwürdigen Personen dieser Stadt von damals. An Geist und Wissen reich, hatte sie sich auch noch die Kunst des Klavierspielens auf eine musterhafte Weise angeeignet, sie gehörte zu den besten Klavierspielerinnen damaliger Zeit durch zartes Gefühl, feinen Geschmack und außerordentliche Kunstfertigkeit.
Ihr Lehrmeister in dieser Kunst war der Dichter
Schubart.
Als dieser sich als Gefangener, sie als Tochter eines beim dasigen Militär Angestellten auf der Veste Asberg befand, wurde ihm die Erlaubnis erwirkt, sich täglich eine Stunde aus seiner Klause zu begeben, um sie im Klavierspiele zu unterrichten. Die Gedichte Schubarts, die den Namen
Regine
führen, waren an sie gerichtet. Was sie
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