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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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»da brauchen wir den Doktor gar nicht kommen zu lassen. Das kostet nur mehr, als
     wir haben, und bringt doch nichts. Entweder er schafft es, oder er schafft es nicht. Der Torriani, der auch Kühe oben hatund für den Gian die Milch heruntergebracht hat, war hier. Stiche hat der Gian in der Brust gespürt, sagt der Torriani, und
     gehustet hat er auch. Da sind sie endlich doch hinauf, der Aldo und der Luca.«
    Benedetta saß am Küchentisch, wischte ein paar imaginäre Krümel weg und schob Nika einen Napf mit Milchkaffee zu.
    »Das Kaninchen ist jetzt nichts für ihn.« Sie sah zu der Blechdose, die Nika ungeöffnet wieder heruntergebracht hatte, und
     dann zur Tür hinüber, hinter der sie Gian in sein altes Bett gelegt hatten.
    »Der Torriani passt jetzt auf die Kühe auf. Wer soll es sonst tun, jetzt, wo Luca weggeht.«
    Nika nickte benommen. Beim Alpenstich ging es um Leben und Tod. Wie wollte man eine Lungenentzündung auch heilen? Aber gegen
     das Fieber konnte man doch etwas tun. Dass Benedetta so unbewegt dasaß!
    Als hätte sie Nikas Gedanken gelesen, fuhr Benedetta fort: »Weißt du, ich habe schon viele Kinder verloren, zwei Mädchen,
     Arietta und Mirta, gleich nach der Geburt, und einen Jungen, Elio. Ein Goldschatz ist er gewesen, ein Sonnenschein, drei schöne
     Jahre lang. Dann kamen Gian, Luca, die Andrina. Danach hatte ich nur noch Fehlgeburten. Eines Tages wirst du vielleicht wissen,
     was das heißt. Das schleckt keine Geiß weg, das verändert einen. Deshalb lasse ich meinen Gian nicht einfach so liegen, wie
     du vielleicht denkst. Es gibt eine Alte in Stampa, die versteht was von Pflanzen. Sie macht eine Medizin vom Eisenhut, die
     gegen das Fieber wirkt. Sie verkauft das Zeug in der ganzen Gegend. Man muss aber aufpassen, der Eisenhut ist giftig, damit
     ist nicht zu spaßen, eine solche Medizin kann nicht jeder brauen.«
    Nika nickte, das wusste man auch in Mulegns.
    »Ich habe dem Gian schon Silberdisteltee gegeben, und wenn er aufwacht, kriegt er eine Suppe von Borretsch undandern Kräutern, wie man sie für die kranken Kühe ansetzt. Aber jetzt schläft er erst mal.« Benedetta schüttelte den Kopf.
     »Die Männer haben ihm mit Ei und Honig vermischten Schnaps eingegeben, wie einer Frau, die geboren hat.« Sie schwieg und dachte
     wohl an all die Geburten, die sie hinter sich hatte.
    Doch weil sie bemerkt hatte, dass Nika voller Unruhe und Angst war, fügte sie nach einer Weile hinzu: »Du hast ihn gern, den
     Gian, ich weiß. Geh ruhig schlafen. Ich pass schon auf ihn auf.«

Eine andere Art von Fieber
    Die Beine trugen Segantini häufiger in die Richtung des Hotels, als ihm lieb war, trotz aller gegenteiligen Befehle, die sein
     Kopf ihm gab.
    Meist stand er sehr früh auf, schon mit dem Sonnenaufgang, und die Baba passte sich seinem Rhythmus an. Manchmal war er schon
     um fünf Uhr morgens vor der Staffelei.
    Die Bilder, an denen er arbeitete, standen an verschiedenen Orten im Freien, er hatte schwere Holzkästen anfertigen lassen,
     in denen er sie verschließen und gefahrlos bei fast jeder Witterung draußen stehen lassen konnte.
    Die Baba kauerte, geduldig wie ein Hund, zu seinen Füßen und reichte ihm die Farben, die er mit kurzen kräftigen Strichen
     auf die Leinwand setzte, zuerst die, die das Bild im Farbton bestimmen sollten.
    Doch bevor er überhaupt begann, ließ er die Leinwände mit Terpentin und Terra rossa grundieren. Die dunkle, rostrote Fläche
     erdete ihn und gab der Helligkeit seiner Farben einen tiefen Unterton, der wie ein Bass in der Symphonie des Lichts mitlief.
     Seine Palette hatte sich mit den Jahren mehr und mehr aufgehellt, und er verwendete nur noch wenige, ungemischte, reine Farben:
     Zinkweiß und Silberweiß; Schwarz; zweierlei Grün: Smaragdgrün und Kobalt; zweierlei Blau: Kobalt und Ultramarin; viererlei
     Gelb: Cadmium foncé, clair und moyen und Jaune de Mars; Orange und Rot, und da das Vermillon de Chine. Neben den einzelnen
     Strichen ließ er fast gleich große Zwischenräume, in die er später die Komplementärfarbensetzte, Rot neben Grün etwa. Und erst im Auge des Betrachters mischten sich die Farben dann.
    Wenn er die Komposition so, wie sie in seinem Kopf entstanden war, in einfachen weißen Strichen und Farbflächen grob auf der
     Leinwand skizziert hatte, begann die Arbeit im Freien. Dann suchte er die Plätze auf, an denen er einzelne Details malen wollte:
     einen Kirchturm, eine Wiesensenke, ein Bergmassiv. Für die meisten Bilder gab

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