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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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möchtest du?«
    »Ich möchte nach Italien, nicht im Winter, aber wenn ich genug gespart habe für die Reise.«
    »Nach Italien?«, wiederholte Robustelli.
    »Ja«, bestätigte Nika.
    »Und warum gerade nach Italien?«, fragte Achille nach.
    »Weil ich glaube, dass dort meine Mutter lebt«, erklärte sie. »Ich kenne meine Mutter nicht, aber ich werde sie suchen. Und
     irgendwann werde ich sie finden.«
    »Bene«, sagte Robustelli. »Weißt du, wo du suchen musst?«
    »Nein«, antwortete Nika.
    »Ah.«
    »Ich möchte gern den Winter über hierbleiben, eine Arbeit suchen, vielleicht in einem Hotel in St. Moritz, das im Winter geöffnet
     hat. Ich könnte auch wieder in der Wäscherei arbeiten.«
    »Das würdest du wohl müssen im Winter«, lächelte Achille Robustelli.
    Nika lächelte zurück. »Ich dachte, vielleicht können Sie mich empfehlen.«
    Robustelli lehnte sich nach vorn und sah sie an. Sie war nicht mehr ganz so mager wie am Anfang. Benedetta hatte offenbar
     gut für sie gesorgt. Und was immer Segantini mit ihr angestellt hatte, es hatte ihr ebenfalls gutgetan. Es war, als hätte
     sich ein hässliches Entlein zum Schwan gemausert, sich etwas in ihr entfaltet, das jetzt sichtbar wurde. Sie ist schön, sagte
     er zu sich. Zu ihr aber sagte er: »Gut. Ich werde darüber nachdenken.«

Ein Besuch kündigt sich an
    »Und mit wem gehen wir nun zur Eröffnung des Palace?«, fragte James missmutig.
    Edward, der ganz im Gegenteil sehr guter Laune war, sah flüchtig von seiner Zeitung auf. »Wieso, was meinst du? Ich dachte,
     wir beide gehen zusammen hin.« Er vertiefte sich wieder in seine Lektüre.
    »Kate und ihr Mann sind ganz plötzlich abgereist, hast du schon gehört?«
    »Nein«, erwiderte Edward, »warum sollte ich. Kate ist doch dein Revier.«
    Aber James ließ sich nicht beirren.
    »Es ist langweilig, mein Lieber, nur mit dir dorthin zu gehen. Und Mathilde ist im Krankenhaus. Für sie wäre es ein ganz besonderes
     Ereignis gewesen.«
    »Ah, du sorgst dich plötzlich darum, was sie glücklich machen könnte?« Edward hatte die Zeitung sinken lassen.
    »Tu nicht so scheinheilig«, gab James bissig zurück, »du weißt gar nichts. Sie hat mich fortgeschickt, als ich sie im Krankenhaus
     besuchen wollte.«
    »Na und?«, antwortete Edward. »Du könntest ja versuchen herauszufinden, warum sie das getan hat.«
    »Sie ist verlobt. Kate wusste es. Da staunst du, was?«
    Edward klappte bei dieser Bemerkung tatsächlich die Zeitung zu und erhob sich von seinem geblümten Sessel, um das Fenster
     aufzumachen und sich weit hinauszulehnen. Dann drehte er sich wieder James zu.
    »Und deshalb hat sie dich weggeschickt?«
    »Nein.«
    »Nun, wie auch immer. Ich dachte, ich frage Betsy, ob sie mich nicht zur Eröffnung begleiten will«, sagte Edward, »sie ist
     gescheit, unterhaltsam und attraktiv. Und da sie in Trauer war, hat sie jetzt vielleicht Lust, wieder einmal an einem großen
     gesellschaftlichen Anlass teilzunehmen.«
    »Du lieber Himmel!« James, der sich auf Edwards Bett ausgestreckt und die Arme unter dem Kopf verschränkt hatte, sprang auf.
     »Ich erkenne dich ja nicht wieder. Du hast ihr schon an dem Abend bei Segantini Komplimente gemacht. Du hast doch nicht etwa
     Absichten?«
    Edward erwiderte nichts darauf.
    »Eddie?«, fragte James nach.
    »Das lass nur meine Sorge sein.« Edward schloss das Fenster wieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz,
     sodass er James ins Gesicht sehen konnte. »Wenn ich mich recht erinnere, Jamie, hast du ihr an diesem Abend mehr Avancen gemacht
     als ich.«
    »Daran erinnerst du dich?«
    »Jedenfalls bin ich dieses Mal schneller als du«, stellte Edward fest. »Du hast dich vielleicht ein bisschen zu lange bei
     Kate aufgehalten.«
    »Du warst schon in der Schule ein Moralprediger«, sagte James verächtlich. »Warum bist du eigentlich nicht Pfarrer geworden?
     Oder Lehrer?«
    »Weil ich keine Lust auf Schüler wie dich hatte«, gab Edward zurück.
     
    Am 29.   Juli 1896 tanzte der Hotelier Caspar Badrutt vor den Augen unzähliger, festlich gekleideter Gäste den Eröffnungstanz mit einer
     echten englischen Prinzessin. Das mondäne Palace Hotel nahm seinen Betrieb auf, eine weitere Attraktionin dem Bergdorf St. Moritz, dem es gelungen war, zu einer Destination der großen, weiten Welt zu werden. Berühmte Zürcher
     Architekten hatten ein Schloss im englischen Tudorstil erbaut, eine Burg mit quadratischem Eckturm, Schießscharten, Erkerchen
     und

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