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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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zurückzusehnen; seid ihr denn blind? so leicht zu täuschen? Die werden euch für weniger als eine Handbewegung, für weniger als ein Butterbrot umbringen! Du brauchst nicht einmal mehr dunkelhaarig oder blond zu sein, brauchst nicht mehr den Taufschein deiner Urgroßmutter - die werden euch umbringen, wenn ihnen eure Gesichter nicht gefallen; hast du denn nicht die Plakate an den Wänden gesehen? Seid ihr denn blind? Da weißt du ja einfach nicht mehr, wo du bist; ich sag, Liebster, die haben doch alle vom Sakrament des Büffels gegessen; dumm wie Erde, taub wie ein Baum, und so schrecklich harmlos wie die letzte Inkarnation des Büffels; anständig, anständig; ich habe Angst, Alter - nicht einmal 1935 und nicht 1942 habe ich mich so fremd unter den Menschen gefühlt; mag sein, daß ich Zeit brauche, aber da werden Jahrhunderte nicht ausreichen, mich an die Gesichter zu gewöhnen; anständig, anständig und keine Spur von Trauer im Gesicht; was ist ein Mensch ohne Trauer? Gib mir noch ein Glas Wein und schau nicht mißtrauisch auf meine Handtasche; ihr habt die Medizin gekannt, aber anwenden muß ich sie selber; du hast ein reines Herz und ahnst nicht, wie böse die Welt ist, und ich verlange heute noch ein großes Opfer von dir: sag die Feier im Cafe Kroner ab, zerstör die Legende, fordere nicht deine Enkel auf, dein Denkmal zu bespucken, sondern verhindere, daß du eins bekommst; Paprikakäse hat dir doch nie geschmeckt - sollen die Kellner und Küchenmädchen sich an die Festtafel setzen und dein Geburtstagsmahl verzehren; wir bleiben hier auf diesem Balkon, genießen den Sommerabend im Kreis der Familie, trinken Wein, schauen dem Feuerwerk zu und sehen
    uns den Aufmarsch der Kämpfenden an; wogegen kämpfen sie? Soll ich ans Telefon gehen und im Kroner absagen?«
    Schon sammelten sich am Portal von Sankt Severin blau Uniformierte, standen rauchend in Gruppen, trugen blau-rote Fahnen mit einem großen schwarzen K darauf; schon probte das Blasorchester das Lied: ›Vaterland, es knirscht in deinem Gebälk‹; Weingläser klirrten leise auf den Balkonen, Sektkübel tönten metallisch, Pfropfen knallten ins abendlich dunkle Blau des Himmels; die Glocken von Sankt Severin läuteten Viertel vor sieben; drei dunkelgekleidete Herren traten auf den Balkon von Zimmer 212.
    »Glauben Sie wirklich, daß sie uns nützen können?« fragte M.
    »Ich bin sicher«, sagte der eine.
    »Kein Zweifel«, sagte der andere.
    »Aber werden wir nicht mehr Wähler verärgern, als wir durch eine solche Sympathiebezeugung gewinnen?« fragte Herr M.
    »Der Kampfbund ist als nicht radikal bekannt«, sagte der eine.
    »Verlieren können Sie gar nichts«, sagte der andere, »nur gewinnen.«
    »Wieviel Stimmen sind es? Optimal und im ungünstigsten Falle?«
    »Optimal an die achtzigtausend, im ungünstigen Fall an die fünfzigtausend. Entschließen Sie sich.«
    »Ich bin noch nicht entschlossen«, sagte M., »ich warte noch auf Weisung von K. Glauben Sie, daß es uns bisher gelungen ist, der Aufmerksamkeit der Presse zu entgehen?«
    »Ist gelungen, Herr M.«, sagte der eine.
    »Und das Hotelpersonal?«
    »Absolut diskret, Herr M.«, sagte der andere. »Die Weisung von Herrn K. müßte bald kommen.«
    »Ich mag diese Burschen nicht«, sagte Herr M., »sie glauben an etwas.«
    »Achtzigtausend Stimmen dürfen getrost an etwas glauben, Herr M.«, sagte der eine.
    Lachen. Gläserklirren. Telefon.
    »Ja, hier M. Habe ich recht verstanden? Sympathie bezeigen? Gut.«
    »Herr K. hat sich positiv entschieden, meine Herren, stellen wir unsere Stühle und den Tisch auf den Balkon hinaus.«
    »Was werden die Ausländer denken?«
    »Sie denken sowieso das Falsche.« Lachen, Gläserklirren.
    »Ich werde hinuntergehen und die Aufmerksamkeit des Umzugsleiters auf Ihren Balkon lenken«, sagte der eine.
    »Nein, nein«, sagte der Alte, »ich will nicht in deinem Schoß liegen, nicht in den blauen Himmel hineinsehen; hast du denen im Cafe Kroner gesagt, daß man Leonore hierher schickt? Sie wird enttäuscht sein; du kennst sie nicht; Roberts Büroangestellte; ein liebes Kind, sie soll nicht um ihr Fest kommen; ich hab kein reines Herz und weiß genau, wie böse die Welt ist; ich fühle mich fremd, fremder als damals, wenn wir in den Anker am oberen Hafen gingen und dem Kellner, der Groll hieß, das Geld brachten; da unten formieren sie sich zum Aufmarsch - warmer Sommerabend, Dämmerung, Lachen klingt herauf - soll ich dir helfen, Liebste? Du weißt wohl nicht,

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