Bille und Zottel 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick
Pflock nun auch mit den Zähnen erreichen. Er biß darauf herum, zog und zerrte so lange, bis der Pflock heraussprang und die Tür zur Box Zottels Druck nachgab.
Zottel wieherte freudig überrascht. Leise trabte er zum Stall hinaus und um die Ecke in den Park hinein. Hier unter den Bäumen würde ihn so leicht niemand entdecken und er konnte endlich einmal ungestört die würzigen Gräser probieren, die ihn schon so oft gelockt hatten.
Zottel schüttelte die Mähne und senkte erwartungsvoll den Kopf. Aber plötzlich erschnupperte er da zwischen den Düften von Klee und saftigem Gras einen Geruch, der ihn in freudigste Erregung versetzte.
Hmhmhmhm, machte Zottel, es hörte sich an, als hätte er leise gelacht. Mit vibrierenden Nüstern trabte er der Quelle des verheißungsvollen Duftes entgegen.
Heute war Frau Lohmeiers Kaffeekränzchen tag.
Das Haus, das der Verwalter mit seiner Frau bewohnte, lag gleich hinter dem Park.
Auf der Veranda stand — mit einem Tuch sorgsam gegen die
Fliegen geschützt — die fertige Kaffeetafel mit Torte, Plätzchen, Milch und Schlagsahne, der silbernen Zuckerdose, einem Erbstück von Frau Lohmeiers Großmutter, und in der Mitte des Tisches prangte ein herrlicher Sommerstrauß. Nur der Kaffee fehlte noch, Frau Lohmeier stand gerade in der Küche am Herd und filterte ihn liebevoll und sorgfältig, beschwingt von der Vorfreude auf die Komplimente, die sie ganz sicher zu hören bekommen würde.
Ohne Umstände schritt Zottel zur Tat.
Ungeduldig zerrte er mit den Zähnen das störende Tuch von der Tafel und warf es auf den Boden. Eins der Gedecke wickelte sich sanft hinein und ging mit hinab, ohne Schaden zu nehmen.
Zottel machte sich zunächst einmal über die Cremetorte her. Dann folgten in rascher Reihenfolge die Plätzchen und die Zuckerstücke. Zum Schluß kam die Schlagsahne dran.
Nach soviel Süßem brauchte Zottel unbedingt etwas Kräftiges. Dazu eignete sich der Blumenstrauß vorzüglich, Zottel hob ihn vorsichtig aus der Vase. Der Hals der Vase war eng, sie schwebte ein Stückchen über den Tisch und fiel dann mit dumpfem Platschen in die Reste der Cremetorte.
Der Genuß von Schlagsahne regt die Verdauung an. Und so blieb es nicht aus, daß die Veranda noch mit ein paar Äpfeln geziert wurde.
Bille hatte inzwischen den ganzen Park abgesucht. Sie steuerte gerade auf Familie Lohmeiers Garten zu, als ein gellender Schrei die Nachmittagsstille zerriß. Bille befürchtete das Schlimmste. Sie raste um die Hausecke herum — und blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Vor Entsetzen sperrte sie den Mund auf, als wolle sie einen Kartoffelkloß verschlucken. War das, was sie sah Traum oder Wirklichkeit?
Zottel stand hoch aufgerichtet auf den Hinterbeinen, geziert mit einem Weihnachtsmannbart aus Schlagsahne auf der Veranda und hielt die Reste eines Blumenstraußes im Maul. Und davor stand die schreiende Frau Lohmeier, vor sich auf dem Boden die Scherben der Kaffeekanne in einem dunkelbraunen See, neben sich die Kaffeetafel, die aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
Bille löste sich aus ihrer Erstarrung.
„Zottel!!“ schrie sie. „Zottel, du verrückter Kerl, was hast du da wieder angestellt, komm sofort her!“
Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, aber die Komik des Anblicks siegte. Bille prustete los vor Lachen.
Zottel hatte sich auf die Vorderbeine hinuntergelassen, nachdem Frau Lohmeier aufgehört hatte, die Arme zum Himmel zu erheben. Er warf ihr die Reste des Blumenstraußes vor die Füße, grüßte noch einmal dankend mit einem Nicken und trabte freudig schnaubend zu Bille hinüber.
„So, du findest das komisch, junge Dame!“
Frau Lohmeier war schneeweiß im Gesicht und zitterte vor Zorn.
„Das Lachen wird dir schnell genug vergehen, verlaß dich drauf, dafür werde ich sorgen! Und jetzt nimm dieses Ungeheuer und verschwinde, aber schnell! Der Gaul ist die längste Zeit hier auf dem Hof gewesen, das schwöre ich. Und du — wage es nicht, dich hier noch einmal blicken zu lassen!“
Frau Lohmeier drehte sich brüsk um und verschwand im Haus. Drinnen hörte Bille sie schluchzend nach ihrem Mann rufen. Das konnte ja bös ausgehen!
Bille ergriff Zottel bei der Mähne und führte ihn bedrückt zum Stall zurück. Was sollte sie jetzt bloß tun?
Zottels Wiedergutmachung
In dieser Nacht schlief Bille kaum. Immer wieder gingen ihr die Ereignisse des vergangenen Tages durch den Kopf.
Nachdem sie Zottel zurück in seine Box gebracht
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