Bille und Zottel 10 - Im Hauptfach Reiten
Einfallsreichtum.
Am nächsten Tag um elf Uhr herrschte bereits hektisches Treiben in den Ställen und Putzständen. Jeder brachte sein Pferd auf Hochglanz, fand hier noch etwas zu bürsten, dort noch ein paar Mähnenhaare zu ordnen, Bandagen wurden angelegt, Gamaschen auf ihren Sitz geprüft, schließlich ging es ans Satteln. Diskussionen gingen hin und her, ob man mit Sporen oder ohne reiten solle, ob mit Pelham oder normaler Trense.
„Wenn ich euch einen guten Rat geben darf, reitet ohne Sporen!“ rief Herr Toellmann dazwischen. „Ihr werdet euch wundern, wie auch die faulsten unter euren Pferden plötzlich aufdrehen, wenn es auf die Jagd geht. Ihr werdet Mühe haben, sie zu halten.“
Gegen halb zwölf fuhren die ersten Transporter vor. Gäste aus den umliegenden Reitvereinen kamen, begleitet von ihren Eltern oder Reitlehrern. Das aufregende Entladen begann, von den Internatsschülern kritisch beobachtet, denn nicht alle Pferdebesitzer gingen mit ihren Tieren so sorgsam um, wie man es von einem guten Reiter erwarten konnte. Das war es, was sie bei Herrn Tiedjen zuerst gelernt hatten: die Sorgfalt im Umgang mit dem Pferd.
So löste ein Reiter, er mußte schon zwanzig sein, empörtes Kopfschütteln aus, als er sein Pferd so roh rückwärts aus dem Transporter stieß, daß es abrutschte und sich an der scharfen Kante der Laderampe verletzte. Eine zwanzig Zentimeter lange blutende Wunde war der traurige Erfolg. Nico rannte sofort los, um die Stallapotheke zu holen, und versorgte die Wunde mit Blauspray, während der Reiter wütende Beschimpfungen auf sein Pech murmelte, da er nun die Jagd nicht mitreiten konnte.
Florian, der auf einen Sprung herübergekommen war, um nach Nico zu schauen und ihr nötigenfalls Mut zuzusprechen, betrachtete interessiert die hübsche Stute, die noch schweißnaß von den Aufregungen des Transportes war. „Wunderschöner Hellfuchs! Noch sehr jung, wie?“
„Vier. Aber zickig wie eine alte Jungfer. Bringt mich echt auf die Palme, das Luder.“
Nico und Florian warfen sich einen vielsagenden Blick zu. „Langsam gefahren sind Sie nicht gerade. Sie sollten sie ein bißchen rumführen. Haben Sie keine Decke?“
„Ach was, ich haue gleich wieder ab. Was soll ich hier noch lange rumstehen.“
„Warten Sie einen Moment, ich mache das!“ Nicos Stimme duldete keinen Widerspruch. Sie nahm die Stute am Halfter und marschierte mit ihr davon.
„He, he!“ rief der junge Mann hinter ihr her, unternahm aber nichts, um sie zurückzuholen.
„Es gibt Pferde, die brauchen vor allem Zartgefühl“, sagte Florian vorwurfsvoll. „Wie heißt Ihre Stute?“
„Florentine.“
„Florentine...“, wiederholte Florian träumerisch.
„In einer Viertelstunde geht es los, Kinder! Seid ihr fertig?“ rief Herr Toellmann über den Platz.
Florian spurtete zu Nico hinüber.
„Ist dein Pferd fertig? Soll ich dich hier ablösen?“
„Alles klar. Iris steht fertig gesattelt in der Box. Ich muß mir noch das Plastron umbinden und die Jacke anziehen.“
„Okay, dann bis gleich.“
Florian hetzte zum Hof zurück, wo Simon, Bille, Bettina und Tom schon in Turnierkleidung bei ihren Pferden standen und auf den Aufbruch warteten. Simon hatte den Fuchsschwanz an seiner linken Schulter befestigt, Tom trug das weiße Band des Masters am Arm. Bille, Bettina, Nico und Florian hatten die Aufgabe der Piqueure übernommen, da die Jagd nur von Jugendlichen und Junioren bestritten werden sollte. Nico sollte zur linken, Bettina zur rechten Seite der Jagdgesellschaft reiten und Bille und Florian die Nachhut bilden. Ein leuchtend blaues Band auf dem linken Ärmel kennzeichnete sie.
Um Punkt halb eins versammelten sie sich auf der neuen Schulreitbahn und stellten sich in einem Halbkreis auf. Herr Tiedjen hatte — als Überraschung für seine jungen Reiter — eine Bläsergruppe organisiert, die die Jagdsignale blies. Dann folgten ein paar einführende Worte des Direktors und eine kurze aufmunternde Rede Hans Tiedjens. Kaum einer hörte recht zu, denn die allgemeine Nervosität übertrug sich allmählich auch auf die Pferde. Sie waren schwer zur Ruhe zu bringen.
Das Lampenfieber kribbelte im Bauch, Plastrons verrutschten, Handschuhe kniffen, Reitkappen drückten auf einmal, die Tweedjacken schienen zu eng geworden.
Endlich ertönte das erlösende Signal. Simon galoppierte davon; er ritt Nathan, setzte spielerisch über die beiden ersten Hindernisse, dann ritt auch Tom an. Die Jagd begann.
Wer es nicht
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