Bille und Zottel 10 - Im Hauptfach Reiten
unglaublich wild und gefährlich aussehenden Geschöpfen, die einem schon durch ihre Größe Respekt einflößen konnten. Und dann das riesige Gebiß, die Kraft der Hufe — wenn es ihnen in den Sinn kam auszuschlagen!
Den Schülern fiel diese Zurückhaltung nicht weiter auf, sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Schule und Reiten, das waren zwei Dinge, die den Tag bis zur letzten Minute ausfüllten, und eigentlich reichte die Zeit nie für das aus, was man alles gern getan hätte.
In diesen Tagen, die von einer kräftigen Herbstsonne vergoldet wurden, standen vor allem lange Ausritte auf dem Programm. Außerdem mußte man das schöne Wetter für das Training auf dem neu errichteten Parcours nützen. So lag das Schloß an den Nachmittagen wie ausgestorben.
Einer hatte in diesen Tagen allen Grund, sich zu beklagen — das war Zottel. Während Bille stundenlang mit Black Arrow oder Troja trainierte oder die Stuten bewegte, mußte er sich auf der Koppel langweilen. Kein Ausritt durch den herbstlichen Wald, über die Felder oder an den Strand hinüber fand statt. Bille arbeitete hart für ihr nächstes Turnier und hatte jeden Sinn für vergnüglichen Zeitvertreib verloren.
Kein Wunder, daß Zottel sich nach ein wenig Abwechslung sehnte. Wenn er nur eine Möglichkeit gefunden hätte, aus der Koppel auszubrechen!
An einem Montagnachmittag war es soweit. Ein paar Pilzesucher waren über die Koppel gegangen, hatten nach späten Wiesenchampignons Ausschau gehalten und nicht das in einer Ecke dösende Pony bemerkt. Als sie die Koppel verließen, blieb das Gatter hinter ihnen offen.
Zottel hob voll froher Ahnung den Kopf und spitzte die Ohren. Er wartete eine Weile, bis die Gruppe verschwunden war, dann kam er gemächlich näher. Ohne Hast schob er sich durch den Torspalt und spazierte zum Park hinüber.
Aufregendes gab es hier nicht zu entdecken. Zottel probierte mal hier, mal dort ein Grasbüschel, schnupperte an Phlox und Astern, scharrte gelangweilt im Kies und trollte sich schließlich zum Schloß, in der Hoffnung, dort einer verständnisvollen Seele zu begegnen, die ein paar Kekse oder Zuckerstücke für ihn übrig hätte.
An der rechten Seite des Schlosses gab es ein Erkerzimmer, das einen direkten Zugang zum Park hatte. Früher hatte man es das Gartenzimmer genannt, jetzt war das Lehrerzimmer dort untergebracht. Der Erker war mit Vorhängen vom übrigen Raum abgetrennt und rundum mit Bücherregalen versehen worden.
Die Flügeltür stand bei dem schönen Wetter weit offen, und so beschloß Zottel, sich drinnen mal ein wenig umzusehen. Leichtfüßig erklomm er die fünf breiten Stufen und trat ein. Vor sich sah er einen großen ovalen Tisch voller Bücher, Hefte und Papiere. Mit dem Rücken zu ihm saß eine Frau mit einer Brille und schrieb mit Rotstift auf blau beschriebenen Heftseiten.
„Ich bin gleich fertig, Kollege“, murmelte die Lehrerin, ohne sich in ihrer Arbeit stören zu lassen.
Zottel trat vorsichtig näher und schnupperte. Ganz sanft blies er in die dunklen Locken der Frau, die ein bißchen nach fremden Blumen roch. Die Lehrerin ließ den Stift fallen und kicherte nervös. Hastig zeigte sie auf eine Stelle in dem Heft.
„Hier, sehen Sie sich das an! Haben Sie schon einmal so einen blödsinnigen Fehler gesehen? Und das in der neunten Klasse!“
„Höhöhöm“, machte Zottel.
„Nicht wahr? Geradezu lächerlich!“ Die Lehrerin starrte auf das Heft, und ihr Oberkörper wurde immer steifer.
Warum drehte sie sich nicht mal um, streichelte ihn und gab ihm etwas zu naschen? dachte Zottel. Er stupste sanft ihren Hals an, seine weichen Lippen berührten das Ohrläppchen der Frau und zupften ein wenig daran.
Die Frau schloß die Augen und wurde immer kleiner.
„Nicht doch, Kollege, ich bitte Sie! Das geht doch nicht... hier... das... können Sie nicht machen!
Jeden Augenblick können die anderen kommen, die Konferenz beginnt in ein paar Minuten! Wie kommen Sie überhaupt auf den Gedanken, daß ich... “
Zottel drängte näher. Und nun legte sich eine solche Wolke intensiven Pferdegeruchs über die verwirrte Lehrerin, daß sie erschrocken herumfuhr.
„Nein... nein... Hilfe! Hilfe! Du Untier! Weg! Weg da! Ist denn hier niemand, der dieses Pferd hier rausbringt!“ Die Lehrerin wand sich von ihrem Stuhl, schob sich ängstlich an Zottel vorbei und stürzte nach draußen, um vom Pferdestall jemanden zu Hilfe zu holen.
Zottel sah ihr kopfschüttelnd nach, dann begann er sich ein
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