Billigflieger
jedem Fall das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
»Das ist … rührend von dir. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, stottere ich und komme mir dabei vor wie ein Schulanfänger, der zum ersten Mal etwas vor der Klasse vortragen muss.
»Rührend? Dann hast du also wirklich etwas ausgefressen?«
Jetzt erst bemerke ich, dass ihr Schachzug sogar noch viel geschickter war, als ich zuerst angenommen habe. Eine regelrechte Falle.
»Ich … So kann man das eigentlich nicht sagen …«
»Wie kann man es denn sonst sagen?«
»Am besten gar nicht.«
Das ist jetzt wenigstens ehrlich. Denn mal ganz unter uns - soll ich wirklich zur Begrüßung sagen: »Ich habe letzte Nacht mit einer anderen Frau geschlafen. Es hat aber nichts zu bedeuten, und darum bleibt es natürlich bei unseren Hochzeitsplänen.«
Ich finde ehrlich ist ab und zu nämlich auch ziemlich feige . Schließlich könnte ich Nina jetzt auf der Stelle alles beichten und ihr damit möglicherweise große Schmerzen bereiten. In erster Linie würde ich dadurch doch nur mein Gewissen erleichtern und mir so vor allem selber einen Gefallen tun. Ist das wirklich anständig? Oder ist es nicht viel heldenhafter, einfach die Klappe zu halten, mit meinen Schuldgefühlen zu leben und mich darum zu bemühen, die Dinge nach und nach wieder ins Lot zu rücken? Schließlich war die Sache mit Katie nur eine Lappalie. Ich habe sie innerlich bereits zu den Akten gelegt. Warum also ein Drama daraus machen, was in diesem Zusammenhang völlig unangemessen wäre?
Nina überrascht mich dann gleich ein zweites Mal. Sie sagt: »Wenn dir schon nicht einfällt, was du sagen sollst, dann könntest du mich ja wenigstens mal zur Begrüßung in den Arm nehmen.«
»Da hast du allerdings Recht«, sage ich erleichtert und setze ihren Vorschlag in die Tat um.
Übrigens sind Berührungen ohnehin oft viel besser als Worte. Nina schmiegt sich nämlich in meine Arme, und ich merke, wie dankbar sie dafür ist. Das berührt mich. Und das macht mir wirklich ein schlechtes Gewissen. Weil ich die ganze Zeit zwar damit gerechnet habe, dass sie sauer sein könnte und mir vermutlich die Hölle heißmachen würde, wie es nun einmal so ihre Art ist. Aber dass sie vielleicht wirklich Angst davor gehabt haben könnte, mich zu verlieren, damit habe ich nicht gerechnet.
»Ich freue mich sehr, dass du da bist«, sage ich.
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Schließlich bist du die Frau, die ich übermorgen heiraten werde.«
Nina spürt, dass ich es aufrichtig meine, und das versöhnt sie mehr, als irgendwelche Worte es gekonnt hätten.
»Und ich hatte schon Angst, dass du mich und unsere Hochzeit vergessen haben könntest.«
»Habe ich aber nicht.«
Wir sehen uns in die Augen, und dann berühren sich unsere Lippen zum ersten Kuss seit fast einer Woche.
Und er gefällt mir gut, dieser Kuss. Weil er vertraut schmeckt. Es ist ein bisschen so, wie nach einer langen und abenteuerlichen Reise wieder nach Hause zu kommen.
44. Eine Frage der Gewohnheit
Allergien werden meistens mit einer medizinischen Methode behandelt, die man »Desensibilisierung« nennt. Der Körper wird einfach so lange mit Stoffen gereizt, die er nicht mag, bis er am Ende den Widerstand aufgibt und beschließt, dass es ihm einfach egal ist.
Ich denke, dass Beziehungen nach genau demselben Muster funktionieren. Klar, das klingt erst einmal zynisch. Und desillusioniert. Und bitter. Aber wenn man etwas länger darüber nachdenkt, entspricht es möglicherweise doch der Wahrheit. Jedenfalls ab einem gewissen Alter.
Davor, also als Teenager, spielt das alles natürlich noch keine Rolle. Da ist es egal, ob der Junge oder das Mädchen, mit dem man gerade geht, störende Angewohnheiten hat. Bis man es herausgefunden hat, hat man sich sowieso schon längst wieder in jemand anderen verliebt. Mit der Zeit aber verlängern sich die Lebensabschnitte, die man mit einem Menschen teilt, und man gelangt früher oder später an den Punkt, an dem man es einfach nicht mehr aushält.
Sei es, weil die Frau zu laut und zu schrill lacht, der Mann beim Essen schmatzt, sie fleischfarbene Mieder trägt oder er vor dem Fernseher schnarcht. Irgendwann denkt man, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Mord oder Scheidung. Aber das stimmt nicht. Das Geheimnis einer funktionierenden Beziehung besteht nämlich darin, dass man einfach weitermacht. Dass man trotzdem weitermacht. Und zwar so lange, bis einem die Dinge, die eigentlich einen jeden Menschen in den
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