Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
als Anerkennung für die richtigen Antworten. Plötzlich streckte sie das Bein aus und wischte mit der Spitze ihrer Strohsandale die Zahl Siebzehn aus, die sie am Morgen 383
in den Boden gekratzt hatte. Sie beugte sich vor und ersetzte sie mit einer Fingerspitze durch eine Dreizehn.
Sandrine brach jäh in wortloses Schluchzen aus. Gabriella nahm sie an der Hand und zog geräuschvoll die Nase hoch. Zu Weinen hatte sie wohl verlernt…
Irgendwoher tauchte der kleine Kater auf und betrachtete die Szene neugierig. Dann schloss er sich der traurigen Stimmung der beiden Mädchen an, indem er seine grünen Augen schloss und sich wie eine leblose Figur neben sie setzte.
Mit angstbeklommenem Herzen wachte Sandrine mitten in der Nacht auf. Die von der Decke hängende gelbe Birne war erloschen.
Durch das schräge Fenster an der Vorderfront des Gebäudes warf der Vollmond seine Strahlen wie ein Leuchtturm herein; sie tauchten die Lagerhalle in ein fahles, kaltes Halbdunkel, das nichts Gutes zu verheißen schien.
Ihre Wange glühte. Entgegen ihrem Versprechen hatte Jasmine die angekündigte Salbe nicht gebracht. »Der ist es doch egal, ob ich draufgehe!«
Wo steckte denn Gabriella?
Sie glaubte an der Eingangstür ein Geräusch zu vernehmen und schaute, sich aufrichtend, dorthin. Sie meinte, die regungslose Silhouette des Schäferhundes zu erkennen. Was machte er da? Sie hatte den Eindruck, dass er angebunden sei; aber wie konnte sie dessen sicher sein? Sie musste ein Aufstöhnen unterdrücken, als sie plötzlich erkannte, dass die Bedrohung nicht dort vorne war, sondern hier direkt vor ihr.
Denn nur drei Schritte entfernt stand Manuel. Er starrte sie an und machte ihr, als er sich entdeckt sah, ein nachdrückliches Zeichen, still zu bleiben. Wie lange mochte er schon dastehen und sie betrachten, während sie schlief? Eine Hand hatte er tief in die Ta-384
sche seiner Hose gesteckt, wo er etwas zu suchen schien. Ach Gott, war sie naiv!
Er näherte sich mit erhobenem Kopf und einem lauernden Blick.
Er hatte schwarzes, gelocktes Haar, lange Wimpern wie ein Mädchen, einen weichen, kindlichen Mund mit vollen Lippen. Sein Kör-perbau war jedoch schon der eines Erwachsenen.
Sie wusste schlagartig, dass der Talisman, den ihr Jasmine auf den Unterarm gemalt hatte, bei ihm keine Wirkung haben würde: Er war ohne Wissen der anderen hier eingedrungen, und das Risiko, das er damit einging, falls man ihn erwischte, war ihm wohl durchaus klar. Welche Dummheit von ihr, anzunehmen, dass von ihm weniger Gefahr drohe als von Dragos oder Stavros! Denn als er jetzt den Finger auf die Lippen legte, schlug er ihr damit keineswegs einen Freundschaftspakt vor, sondern gab ihr den unmissverständlichen Befehl, nur ja den Mund zu halten. Seine Angst, entdeckt zu werden, war weitaus bedrohlicher als seine unverkennbaren Absichten. Entsetzt wurde ihr bewusst, dass er absolut alles tun würde, um sie daran zu hindern, zu schreien und um Hilfe zu rufen.
»Hoffentlich tut er mir wenigstens nicht zu sehr weh!«, sagte sie sich, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. Im Aufruhr ihrer Gedanken bedauerte sie, noch Jungfrau zu sein und ›es nicht gemacht zu haben‹ mit Guillaume an diesem sagenhaften Juli-abend, als sie beide nackt im See gebadet hatten.
Manuel machte Anstalten, auf den Heuwagen zu klettern. Da tauchte von irgendwoher Gabriella auf und zog ihn am Arm. Er schüttelte sie ab und bedeutete ihr, sie möge ihn in Ruhe lassen.
Da knöpfte sie hastig das Oberteil ihres Kleides auf und beugte sich vor, um ihm ihre kleinen Brüste zu zeigen. Der Bursche zögerte zwar einen Augenblick, wandte sich dann aber doch wieder Sandrine zu; es war unverkennbar, wem er den Vorzug gab … Doch so schnell gab die kleine Italienerin nicht auf. Sie drängte sich an ihn, griff ihm in den Hosenschlitz und begann ihn dort fingerfertig zu 385
liebkosen. Nun wollte er sie umarmen, doch sie entwand sich ihm, packte ihn bei der Hand und zog ihn mit sich hinter einen Kistenstapel.
Sandrine hatte wie versteinert der Szene zugeschaut. Jetzt sah sie nur noch Manuels schwarzen Haarschopf hinter der obersten Kiste herausragen. Alsbald hörte sie, wie der Bursche heftig atmete, dann lustvoll stöhnte und schließlich einen nur mit Mühe unterdrückten Schrei ausstieß. Vorn an der Tür begann indessen der Hund unruhig zu knurren.
Alles war rasch vorbei.
Eine zusammengeduckte Gestalt verzog sich hastig aus der bleichen Helligkeit in einen dunkleren
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