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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Blicke um sich schweifen, spitzte die Ohren – und zog sich dann rasch wieder zurück. Die hinter ein paar Olivenfässern versteckten Mädchen hatten sich bei 378

    seinem Erscheinen unwillkürlich an den Händen gefasst.
    Aus Gründen, die sie sich nicht erklären konnte, hatte Sandrine vor ihm eigentlich mehr Angst als vor dem alten Stavros. Den hass-te sie zwar, und sie war auch entschlossen, sich an ihm zu rächen; aber sie war zugleich überzeugt davon, dass er ihr nichts getan hät-te, wenn sie sich ›ruhig verhalten‹ hätte. Bei Dragos war sie sich da nicht so sicher, und Gabriel as Gesichtsausdruck bei seinem Auftauchen war auch nicht gerade dazu angetan, sie zu beruhigen …
    Die Nahrungsmittel rührte sie nicht an. Sie fühlte sich erschöpft und unwohl und kletterte wieder auf den Heuwagen. Dort streckte sie sich aus, nachdem sie die karierte Decke zusammengefaltet und unter ihren Kopf geschoben hatte.
    Sie fuhr aus dem Schlaf hoch. Gabriella hatte sich über sie gebeugt, rüttelte an ihrer Schulter und flüsterte ihr eine Warnung zu, die sie nicht verstehen konnte.
    Auf dem Boden der Halle war ein großes, sonnenbeschienenes Rechteck zu sehen: Die Tür stand weit offen. Der Mulatte und sein Sohn unterhielten sich mit einer fremden, merkwürdigen Person: einer Art von Mönch in nachtblauem Gewand, mit kahlem Schädel und abrasierten Brauen, in steifer Haltung und mit knappen Gesten.
    Sandrine stieg eiligst von dem Wagen herunter, ohne zu wissen, wieso sie plötzlich solche Angst verspürte. Dann drehte sie sich zu der neuen Freundin um, doch diese war verschwunden. Unglaublich, wie flink sie sein konnte! Dann stieß sie einen überraschten Schrei aus: Jasmine stand plötzlich mit düsterer Miene vor ihr und verstellte ihr den Weg. Aber konnte sie überhaupt freundlich schauen mit diesem verschandelten Gesicht?
    »Halt still, ich tu dir nichts!«, sagte sie knapp und beugte sich über sie, um sie genauer zu betrachten. »Geschieht dir recht, wirk-379

    lich! Ich hoffe nur, dass du deine Lehre daraus ziehst. Der Kratzer ist nicht tief, aber ich werde dir heute Abend eine Salbe bringen, damit es keine Infektion gibt.«
    »Haben Sie nicht vielleicht einen Spiegel?«
    »Sonst noch was? Schluss jetzt mit den Faxen, hast du kapiert?
    Sonst kannst du wirklich was erleben!«
    Die Stimme senkend, fragte sie, ob die Leute hier sie ›angerührt‹
    hätten. Die Halbwüchsige fragte herausfordernd: »Was ist denn das da wohl?«, mit dem Finger auf ihre Wange zeigend. Im gleichen Augenblick sagte sie sich schon: »Gleich fange ich mir noch eine«, aber sie hatte die Antwort nicht unterdrücken können. Und sie wollte es auch gar nicht: Provozieren wollte sie diese Person da, aus der Fassung bringen, ihr zeigen, dass sie keine Angst vor ihr hatte!
    »Stell dich nicht dumm, du weißt genau, was ich meine! Stavros und die anderen hier sind gewarnt worden: Wenn sie dich anrühren, wird sie das teuer zu stehen kommen. Also?«
    Sandrine zögerte. Als sie vorhin in dem Toilettenraum auf dem Eimer saß, hatte sie das sichere Gefühl gehabt, dass jemand durch die schmalen Ritzen zwischen den Bohlen, die vor das Fenster ge-nagelt waren, sie beobachtete. Aus Scham und Demütigung wollte sie aber davon nichts sagen. Und ›anrühren‹ war das nun ja auch noch nicht.
    »Nein, weiter hat man mir nichts getan. Aber Sie sollten wohl auch Gabriella danach fragen! Für sie kann ich schließlich nicht antworten. Ist sie schon länger da?«
    »Das geht dich gar nichts an! Und je weniger du über sie weißt, desto besser ist es für euch beide.«
    »Wenn ich wenigstens wüsste, warum man mich hier einsperrt, würde es mir leichter fallen, mich zu fügen …«
    Die Frau in dem weißen Gewand lächelte spöttisch. Was für eine naive Vorstellung!
    »Sagen wir mal, dass wir dich hier unter Aufsicht halten müssen, 380

    bis wir mit deiner Mutter reden konnten … Sie will uns Unrecht antun, und das können wir nicht dulden. Neuesten Nachrichten zufolge zeigt sie sich schon einsichtiger. Du kannst dich also beruhigen. Lange wird das nicht dauern, vielleicht zwei oder drei Tage…«
    »Sie sind Mirandistin, nicht wahr? Ich habe eine Fernsehsendung darüber gesehen: Liebe unter den Menschen, Suche nach der universellen Wahrheit. Aber Sie hält das nicht davon ab, mich anzulü-
    gen! Sie werden mich niemals gehen lassen, fürchte ich.«
    Jasmine wandte sich schulterzuckend ab mit einer Miene, die besagte: »Dir bin ich doch keine

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