Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
als ob da was im Busch sei… Diese bedauernswerte Frau hat uns eine Komödie vorgespielt, nur um sich einen Urlaub auf unsere Kosten zu verschaffen. Daraus sollten wir kein Drama machen!«
»Ja, wenn sie wirklich nur eine Nassauerin gewesen wäre. Aber du bist zu gutgläubig, Jean-Louis, und das bringt dich in Schwierigkeiten. Diese Frau heißt in Wirklichkeit Lydia Frescobaldi und arbeitet für Casus Belli, eine Sondereinheit der italienischen Polizei. Ihre Leute sind im Augenblick dabei, der Vereinigungskirche eine Falle zu stellen!«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Sie höchstpersönlich! Sie ist derzeit in Paris, und du müsstest sie sehen: unverkennbar! Aber keine Spur mehr von einer guten, demütigen Seele, das darfst du mir glauben. Sie hat mich gestern Abend abgepasst, nachdem ich die Räume von HMI verlassen hatte. Ihr Vorgesetzter möchte, dass ich nach Rom komme, unter Übernahme aller Kosten, und dort eine Zeugenaussage in der Angelegenheit dieser Gabriella mache.«
Jean-Louis lehnte sich aufmerksam in seinem Sessel zurück und ließ durch ein Kopfnicken sein Interesse erkennen. Plötzlich schien 391
er es nicht mehr eilig zu haben.
»Eine Zeugenaussage? Worüber denn?«
»Über schreckliche Dinge! Ich möchte dir lieber Einzelheiten ersparen, sie könnten dich zu sehr aufregen … Da sie nichts gegen die Vereinigungskirche in der Hand haben, wollen sie ihre Angriffe gegen El Guía selbst richten. Ich habe vergeblich versucht, Dora …
das heißt, Lydia … davon zu überzeugen, dass Miguel D'Altamiranda völlig außer Stande zu irgendeiner Niedrigkeit sei; sie hat mir geantwortet, dass meine Meinung sie nicht im Mindesten interessiere.«
»Und weiter?«
Laurence zögerte verlegen. Dann erläuterte sie, nach Worten suchend, dass die Italiener sich mit ihr unterhalten wollten in Bezug auf die ärztliche Untersuchung, die sie auf seinen Wunsch in der Krankenstation des Heiligtums an der Kleinen vorgenommen habe.
Und da das Einverständnis der Eltern vorliege, könne sie sich diesbezüglich nicht auf ihre ärztliche Schweigepflicht berufen.
»Sie wollen sogar, dass ich dabei bin, wenn sie nach ihrer Rückkehr erneut untersucht wird. Das ist mir äußerst unangenehm, denn wenn ich mich weigere, entsteht der Eindruck, dass ich …«
»›Nach ihrer Rückkehr‹? Das heißt also, dass sie wieder aufgetaucht ist. Umso besser! Es waren bereits Gerüchte im Umlauf, dass man sie in der Türkei gesehen habe.«
»Aber nein! Sie hat Gozo überhaupt nie verlassen! Das behauptet zumindest diese Frescobaldi, falls man ihr glauben kann. Sie hätten zwar das Versteck noch nicht gefunden, aber das könne nur noch eine Frage von wenigen Tagen sein … Natürlich hätte die gute Frau mir erzählen können, was sie wollte. Aber sie hat Fotos und Zeichnungen …«
»Sie hat dir Fotos gezeigt?«
»Nein, ich habe nur zufällig weitere gesehen, als sie das Foto dieser Gabriella heraussuchte. Eine Aufnahme mit einem ziemlich 392
unangenehmen Anstrich, mit so einem Lederband um den Hals, du verstehst schon … Sie hat mir eine Vergrößerung davon überlassen, damit ich ›darüber nachdenke‹, wie sie sagte. Ziemlich verdreht, fin-dest du nicht?«
»Bei Leuten dieser Art wundert mich gar nichts! Hat sie sonst noch besondere Bemerkungen gemacht?«
»Nichts, was mir aufgefallen wäre. Aber es scheint mir sicher, dass die dort irgendeinen Informanten haben.«
»Dort? Was meinst du damit: das Heiligtum?«
»Sicher, was denn sonst. Aber ich weiß darüber nichts Genaues, das ist nur meine persönliche Meinung, ich sag das einfach mal so …«
Jean-Louis hatte sich vorgebeugt, und mit seinen gefalteten Händen und seiner sanften Stimme wirkte er wie ein wohlwollender Beichtvater, der schon ganz andere Dinge gehört hatte und zur Absolution bereit war, ohne dass man ihn erst darum anflehen musste.
»Nein, Laurence, du sagst das gewiss nicht ›einfach mal so‹, du hast bestimmt einen guten Grund dafür: irgendwas, was du aufge-schnappt hast, oder eine bestimmte Einzelheit…«
»Man hat ihr diese Unterlagen mit der Post zugeschickt, in einem Umschlag, der einen Absenderstempel der Vereinigungskirche trug.
Das ist alles. Bitte bedenke, dass jeder beliebige …«
»Entschuldige, wenn ich dich unterbreche. Kannst du dich daran erinnern, ob die Adresse mit der Hand geschrieben war?«
»Ja sicher, mit der Hand. Übrigens brauchte ich nur nachzuse-hen.«
»Nachzusehen?«, fragte er misstrauisch. »Nun sag nur
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