Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
meiner Stel ung gar nichts zu tun hat.
Jean-Louis ist derzeit in Paris, Catherine hat es mir heute Morgen am Telefon mehr oder weniger bestätigt, auch wenn sie mir sagte, dass sie nicht wisse, wo man ihn erreichen könne. Ich muss unbedingt mit ihm sprechen! Es ist sehr wichtig, und zwar für ihn!«
Antoine war bleich geworden. Er schaute sie eindringlich an und versuchte, von ihren Zügen die Art dieser Dringlichkeit abzulesen und deren Gewicht. Sie war verblüfft durch eine Erkenntnis, die doch eigentlich nicht überraschend für sie sein konnte: Dieser Mann da liebte seinen Sohn leidenschaftlich, aber er litt auch an ihm.
»Er hat uns in der Tat gebeten, sein Incognito zu wahren. Insofern bin ich mir nicht sicher, inwieweit sich sein Wunsch auch be-zieht auf …« Dann stand er auf und setzte hinzu: »Einen Augenblick, bitte!«
Mit hängenden Schultern ging er in sein Büro.
Laurence überkam ein Schwindel. Machte ihr Gewissen ihr zu schaffen? »Vielleicht wäre es doch besser gewesen, ich hätte an meiner ersten Idee festgehalten. Die Situation wäre eindeutiger.«
Nachdem sie von Malbar Soliman über die Umstände informiert worden war, denen sie ihre Freilassung aus Maghrabi zu verdanken hatte, wollte sie zunächst in aller Form bei Harmonices Mundi kündigen. Damit hätte sie sich aber aller Möglichkeiten beraubt, die ihr die Organisation immerhin bot. Wie hätte sie bestimmte Dinge ans Licht bringen können, wenn ihr die Informationsquellen und sonstigen Möglichkeiten des Dokumentationszentrums nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten? Sie hatte sich daher zu einem ihr tragbar vorkommenden zeitweiligen Kompromiss entschlossen, der ihr mit ihrer Selbstachtung vereinbar schien: zwar auf 389
ihrem Posten zu bleiben, aber keinerlei Bezahlung mehr von dieser Organisation anzunehmen, die sie so getäuscht hatte.
In diesem Gehaltsverzicht sah sie obendrein nichts Verdienstvol-les, und sie konnte sich ihn nun auch leisten. Denn seit kurzem konnte sie sich als wohlhabend betrachten: Ihr Vater hatte, ohne jemals einen Ton darüber verlauten zu lassen, vom Tag ihrer Geburt an allmonatlich einen durchaus ansehnlichen Betrag bei einer renommierten Bank für sie angelegt. Darüber war sie erst zwei Wochen nach seinem Ableben informiert worden.
Innerhalb von dreißig Jahren hatte das sich allmählich ansam-melnde Kapital hübsche Zinsen getragen, die jeweils hinzugekom-men und wiederum verzinst worden waren. So waren nun insgesamt vier Millionen in französischer Währung zusammengekommen. Sie hätte gerne einen guten Weg gefunden, sich daran zu erfreuen, weniger um ihrer selbst willen, als um ihren Vater spüren zu lassen –
welch hoffnungslose posthume Geste! –, dass sie ihm dankbar dafür war. Noch lieber aber hätte sie all das Geld hingegeben, wenn sie dafür mit ihm gemeinsam an der Roselierspitze sitzen und ein wahres Gespräch hätte führen können.
In ihren Traum versponnen, schrak sie auf. Die Tür zu dem kleinen Büro hatte sich wieder geöffnet.
Jean-Louis erschien und nahm ihr gegenüber Platz, sie offen anschauend. Sie erwartete keinerlei Gefühlsbezeugung von ihm (schließlich hatte er sie nicht einmal umarmt, als sie in Malta nach Saint-Brieuc aufgebrochen war), aber sie beugte sich vor, um ihm die Hand entgegenzustrecken. Warum übersah er sie?
»Tut mir Leid wegen dieser Schmierenkomödie!«, sagte er. »Aber die Vereinigungskirche erlebt derzeit eine schwere Krise, und ich bin deshalb sehr unter Zeitdruck. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich auf den Austausch von Höflichkeiten verzichte. Es scheint, dass du über Informationen verfügst, die du umgehend loswerden möchtest…«
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Draußen im Vorzimmer vernahm sie die Stimme Catherines und hörte Antoine antworten … »Er hat wohl das Büro durch die zweite Tür in das Esszimmer verlassen«, dachte sie. »Jetzt verschwindet er zu seinem Treffen mit dem Minister, ohne sich von mir zu verabschieden. Es wird immer besser!«
»Das ist richtig. Es schien mir notwendig, dich über bestimmte Dinge zu informieren… Du erinnerst dich doch an diese Italienerin, die mit ihrer angeblichen Nichte in das Heiligtum kam? Dora nannte sie sich. Aber das ist nicht ihr richtiger Name, und die Göre stand in keinerlei verwandtschaftlicher Beziehung zu ihr… Du scheinst kein bisschen überrascht! Wusstest du schon Bescheid?«
»Beide sind von einem Tag zum anderen ohne jede Erklärung verschwunden. Ich hatte schon so ein Gefühl,
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