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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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sein.«
    »Glaube bitte nicht, dass er dabei etwas vorgetäuscht hat. Ganz 479

    im Gegenteil, das war seine volle Überzeugung! Er ist sich ganz sicher, über der Moral und über dem Gesetz zu stehen. Und ich selbst, ich habe auch daran geglaubt!«
    Nach der Aufdeckung des von Casus Belli ausgeheckten Komplotts und der Flucht Doras hatte er persönlich den Herrn des Heiligtums auf die Dringlichkeit angesprochen, das Mädchen der ›letzten Reinigung‹ zu unterziehen. Sollte man ihr die Prüfungen der
    ›Verwandlung‹ aufgrund der Beachtung, deren er sie gewürdigt hatte, ersparen, oder sollte man sie den Leuten aus Istanbul übergeben?
    »Er hat mir geantwortet, ich solle selbst entscheiden, welches ›die praktischste Lösung‹ sei. Tatsächlich war die Angelegenheit belanglos für ihn, und er hat schon einen Augenblick später keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Kannst du mir folgen, Laurence?«
    »Ja, wenn auch nicht ohne Mühe. Worauf willst du hinaus? D'Altamiranda ist ein Ungeheuer, eines mehr in einer Welt, in der es daran wahrlich nicht mangelt. Wenn er allein in einem Winkel säße, wäre er auch nichts weiter als ein armer Irrer, ein weiterer Größenwahnsinniger… Deine Rolle bei der ganzen Sache beschäftigt mich viel mehr als die seine … Du sagtest, du wolltest mich um einen Gefallen bitten?«
    Er warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Natürlich hatte er ihr Unbehagen gespürt, ihre Eile, dieses Gespräch zu beenden. Ob er wohl wusste, dass draußen vor dem Tor sein Vater im Wagen wartete?
    »Während deiner Gefangenschaft in Maghrabi«, sagte er mit plötzlicher Erregung, »hast du da Gefangenen geholfen, zu sterben? Ich meine, um sie dadurch vor weiteren Quälereien zu bewahren?«
    »Nein. Hast du mich deswegen hergebeten?«
    »Es stimmt, darüber wollte ich mit dir reden. Aber es war mir dabei schon klar, dass eine Ablehnung deinerseits auch keine Überra-480

    schung für mich wäre … Aus gutem Grund, nicht wahr? Wie ich dir ja schon sagte, habe ich hier einen Leibwächter…«
    Er machte ihr ein Zeichen, einen Blick über ihre Schulter zu werfen, und als sie es tat, entdeckte sie im dämmerigen Eingang zur Veranda die Silhouette eines jungen Mannes mit halblangen Haaren in einem Blouson, der eher an einen Drogenhändler als an einen Polizisten erinnerte.
    Sie drehte sich wieder um und sah, dass sich Jean-Louis mit schmerzlich verzogenem Gesicht mühsam erhob, die Hände auf die nachgebenden Armlehnen seines Sessels gestützt.
    »Würdest du bitte mit mir nach hinten in den Garten kommen?«, fragte er und leckte sich dabei den Daumen. »Eine Art von Wallfahrt… Und der Gefallen, um den ich dich bitten wollte, ist der, mich dabei zu begleiten.«
    Sie bemerkte, dass die Praline verschwunden war. Seltsam … Hatte denn nicht die Krankenschwester angedeutet, dass er keinerlei feste Nahrung zu sich nehme? Was bedeutete das also? Spielte er ihr eine Komödie vor? Und was hatte es wohl mit dieser ›Wallfahrt‹ auf sich?
    Sie schloss sich ihm an und machte sich Vorwürfe wegen ihres Misstrauens. Was konnte er in dem Zustand, in dem er sich befand, schon anstellen? Er stieg vorsichtig die drei Stufen der Terrasse hinunter. Sie wollte ihm dabei behilflich sein, aber er wehrte ab.
    »Fass mich nicht an! Jedenfalls jetzt noch nicht…«
    Sie durchquerten den großen Garten, der seit vielen Jahren sich selbst überlassen gewesen war. Insekten umschwirrten sie in der glü-
    henden Hitze. Sie gelangten zu einer Hütte aus wurmstichigen Bret-tern, errichtet um den Stumpf eines Kastanienbaums. Die Tür hing schief in nur noch einer Angel, die Scheiben der kleinen Fenster-chen waren zerbrochen. Eine von Flechten überwucherte Bank aus rohem Holz stand vor dem verfallenen Bau, und Jean-Louis ließ 481

    sich, am Ende seiner Kräfte, darauf niedersinken. »Sein guter Anzug wird anschließend schön aussehen«, dachte Laurence. »Aber was hat ihn überhaupt veranlasst, sich so herauszuputzen?«
    »Ich fürchtete schon, dass ich es nicht mehr schaffe! Ich brauche dir wohl nicht mehr viel zu erzählen. Diese Hütte da, das ist meine ganze Kindheit! Hier habe ich die glücklichsten Stunden meines Lebens damit verbracht, selbst ausgedachte Spiele zu spielen … Ich war ein sehr sensibles Kind. Zu sensibel sicher! Setz dich doch bitte!«
    »Was verbirgst du vor mir?«, fragte sie, ohne sich zu rühren.
    »Ich möchte, dass du mir die Hand gibst.«
    »Nein, das kann ich einfach nicht, und das müsstest du

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