Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Diese öffnete sich zu dem Schwanenteich hin, den romantisch wirkende Trauerweiden umstanden, und im Vordergrund auf eine große Terrasse mit schmalen Blumenrabatten. Dort plauderten in bequemen Sesseln, ein Glas in der Hand, die drei ›würdigen Patriarchen‹ angeregt miteinander. Während des Mittagessens hatten sie festgestellt, dass sie alle drei im Jahr 1930 unter dem gleichen Sternzeichen geboren waren und daraufhin beschlossen, sich ›die drei Zwillinge‹ zu nennen.
Luigi Sanguinetti, der alte Fuchs, war ein begnadeter Geschichten-erzähler. Seine achtzehn Jahre an der Spitze der Sondereinheit zur Bekämpfung des Terrorismus hatten ihm einen Sack voller Anekdoten beschert, von denen eine immer noch unglaublicher und verblüffender war als die andere. Damit auch William MacMillan sie mitbekam, erzählte er sie auf Französisch – was sie eher noch köstlicher machte.
Von Kiersten wusste Laurence, dass das Ende des Chefs von Casus Belli nicht mehr fern war – den Spezialisten zufolge konnte es sich wohl nur noch um ein paar Wochen handeln. Er selbst wusste das gut und sprach darüber mit aufmunterndem Sarkasmus. Man erzählte sich auch, dass ihn der allmächtige Enrico Buglione als echten Freund bezeichnete, und das war eine ganz seltene Ehre.
An die Brüstung gelehnt, schaute Laurence auf die drei Männer hinunter mit dem merkwürdigen Eindruck eines Déjà-vu. Es war unverkennbar, dass sie dieses Beisammensitzen genossen. Und es kam das Gefühl hinzu, sich auf der gleichen Wellenlänge zu befinden, in brüderlicher, komplizenhafter Übereinstimmung. Keiner von ihnen hatte irgendwie damit gerechnet, dass dieses zufällige Zusammentreffen eine besondere Bedeutung haben könnte. Dabei hatten sie allerdings die geheimnisvolle Alchemie der Seelen und Charaktere außer Acht gelassen. Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen durch die Ankunft von Priscilla Frescobaldi in Begleitung von 486
Gabriel a und Sandrine. Die mitgekommenen Leibwächter gesel ten sich zu ihren Kollegen, von denen der eine unten an der Terrasse stand und der andere in den Alleen des Gartens unterwegs war.
(Auf Drängen von Casus Belli waren Rekruten der Polizeischule abgestellt worden, um den eigenen Sicherheitsdienst des Palais' zu verstärken. Enrico Buglione hatte das als notwendiges Übel hingenommen, nicht jedoch, ohne sich darüber zu beklagen, dass von der ihm versprochenen ›Unmerklichkeit‹ der Überwachungs- und Schutzmaßnahmen keine Rede sein könne.)
Die Patriarchen begrüßten das Erscheinen des Trios mit Zurufen und Händeklatschen. Sie übertrieben dabei nicht, denn die beiden Heranwachsenden hatten sich auffällig verwandelt: Die Friseuse hatte sich nach Gabriella auch um Sandrine gekümmert und den beiden einen unterschiedlichen Schnitt verpasst sowie die Haare der einen aufgehellt, die der anderen durch ein paar bernsteinfarbene Strähnen betont. Anschließend war die Kosmetikerin noch tätig geworden, und gerade ihre Zurückhaltung hatte zu bester Wirkung geführt. Auch der folgende Einkaufsbummel war zum vollen Erfolg geworden: Die beiden Dämchen, von Kopf bis Fuß neu eingeklei-det, sahen aus wie einer Anzeigenseite für Benetton entstiegen.
»Echt zum Anbeißen!«, fand Laurence gerührt. »Diese zweite Casta-fiore hat das gut gemacht, trotz Kierstens Bedenken.«
Lydia, die durch dringende Aufgaben anderweitig gebunden war, hatte ihre Mutter gebeten, die Einkäufe für die jungen Damen in die Hand zu nehmen. Diese war also gleich nach dem Mittagessen majestätisch, beredsam und gurrend, mit wogendem Busen und melodiösem Lachen losgezogen. Ihre Ähnlichkeit mit der berühmten Mailänder Nachtigall war verblüffend, auch wenn sie Gefahr lief, das ein wenig zu sehr zu betonen. »Wie will sie nur mit diesen beiden Gören zurechtkommen?«, hatte Kiersten gemeint. »Ach, ich will es lieber gar nicht wissen!«
Signora Priscilla kostete ihren triumphalen Auftritt voll aus. Ihre 487
beiden Schützlinge mussten sich den drei Herren ausgiebig präsen-tieren. Dabei verwies sie rühmend auf jedes Einzelteil und nannte jeweils den Rabatt, den sie bei den Geschäftsleuten der Via Frattina
– ›lauter Halsabschneider!‹ – hatte aushandeln können. Dabei hätte sie ja gar nicht für sich selbst so gefeilscht, denn es würde ja alles von Lydias Konto abgebucht, nachdem sie mit deren Kreditkarte bezahlt habe. (Da schwindelte sie jedoch: Sie hatte alles aus eigener Tasche beglichen.) Sie machte noch eine Zeit lang in
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