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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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flüchtiger Schatten über seine Züge gehuscht war, prägte jetzt bleibend sein abgezehrtes Gesicht. Und jetzt verstand sie auch diese merkwürdige Anspielung auf einen ›Heiratsantrag‹: Trotz der Hitze trug er einen dunklen Anzug sowie ein cremefarbenes Hemd mit einer schiefergrauen Krawatte, und im Knopfloch des Revers' steckte eine weiße Rose. Was sollte dieser Aufzug? Er bedeutete ihr mit einer Geste, sie möge sitzen bleiben, und trat mit wackeligen Schritten näher, sich dabei auf das rostige Geländer stützend. Es um-schwebte ihn ein auffälliger Geruch nach Mottenkugeln. Als er sich in den zweiten Sessel setzte, ächzte dieser nicht weniger als vorher der ihre.
    »Danke, dass du gekommen bist!«
    »Du solltest dich nicht bedanken – ich habe lange gezögert«, 477

    sagte sie und reichte ihm die Pralinen. »Von Fjodor Gregorowitsch.
    Er hat mir gerade heute Vormittag versichert, wie heilsam für ihn sein Kontakt mit dir gewesen sei…«
    Jean-Louis zuckte mit den Schultern – er hatte offenkundig nicht die geringste Lust, über seine Begegnung mit dem Russen zu reden.
    Zerstreut entfernte er die Verpackung und zeigte dann plötzlich doch Interesse für den Inhalt. Nach intensiver Begutachtung fiel seine Wahl auf eine Praline in Rautenform, er nahm sie heraus und legte sie auf die Armlehne seines Sessels. Dann beugte er sich hinunter und stellte die Schachtel auf die Terrassenfliesen. »Was treibt er da für ein Spiel?«, fragte sich Laurence. »Und warum bietet er mir nichts an?«
    »Die werden Frau Béraud schmecken«, sagte er, den Kopf hebend.
    »Hüte dich vor der! Die ist viel hinterhältiger, als sie wirkt! Und bist du auch dem anderen begegnet?«
    »Wen meinst du?«
    »Diesem jungen Polizisten. Eine Rotznase! Der lässt mich keinen Augenblick aus den Augen. Selbst in diesem Moment nicht, das fühle ich! Du brauchst dich nur aufmerksam umzuschauen, dann wirst du ihn sicher irgendwo entdecken … Der hat noch kein einziges Wort mit mir gewechselt. Bestimmt hat er Anweisung erhalten, jeden Kontakt mit mir zu vermeiden. Mir ist das gleich, aber ich muss es dir sagen, damit du weißt, dass wir hier nicht ungestört sind.«
    Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich – und zugleich ungeduldig:
    »Dein Vater sagte, dass du darauf bestanden hättest, mich zu sehen …«
    »Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Aber bitte erzähl mir doch vorher das Neueste aus Xaghra!«
    »Sandrine und Gabriella sind wohlbehalten und in Sicherheit.
    Mehr weiß ich auch nicht…«
    Sie entnahm seinem Zusammenzucken, dass er bei seiner Frage 478

    nicht die beiden Mädchen im Sinn gehabt hatte.
    »Entschuldige, aber mich interessieren vor allem die Maßnahmen, die man getroffen hat, um die Große Versammlung zu verhindern.«
    Er ergoss sich sofort in einen Schwall von Mahnungen. Mit allen Mitteln, selbst den äußersten, müsse man die Ausstrahlung dieser Fünften Offenbarung verhindern. Sie sei ein Meisterstück der In-doktrination. Wenn diese Zeremonie der Großen Kommunion mit dem Universalgeist stattfinde, dann bedeute das vielhundertfachen, wenn nicht gar vieltausendfachen Selbstmord! Niemand könne sich den ungeheuren Einfluss vorstellen, den D'Altamiranda auf seine Aushänger auszuüben vermag. Absolut niemand!
    »Inwiefern sollen denn diese Selbstmorde seiner Sache nützen?«, fragte sie mit einer Gelassenheit, die sie selbst bestürzte.
    »Diese Frage ist logisch, aber für ihn stellt sie sich nicht. Er hält sich für einen Gesandten Gottes, zu einer besonderen Aufgabe von ihm berufen. Er ist der Mann der Vorsehung, der Große Katalysa-tor, der Höchste Führer eben! Er kann Hunderte seiner Jünger in den Tod schicken, ohne darüber den geringsten Skrupel zu empfinden, weil er ja selbst gar nicht fähig ist, eine aggressive Handlung oder eine Grausamkeit zu begehen …«
    »Und die Vergewaltigung von Kindern, was ist das dann?«
    Jean-Louis stützte den Kopf in beide Hände. Mit immer erstickterer Stimme warf er ihr vor, sie verurteile D'Altamiranda und wende sich dadurch von ihm ab – statt sich zu bemühen, diesen Mann zu verstehen, um ihn dadurch erst wirklich bekämpfen zu können. Natürlich stimme es, dass die Realität noch unerträglicher sei, wenn man sie aus der Nähe betrachte. Und er erinnerte sie an die Worte, die El Guía gesprochen hatte, nachdem man ihm die kleine Gabriella zugeführt hatte: »Wir haben sie geweiht. Das ist der Höhepunkt ihres Schicksals. Alles Weitere kann nur noch Abstieg

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