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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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aber verraten haben mich beide, jeder auf seine Art.«
    »Der Jüngere natürlich! Nie werde ich das vergessen können! Niemals zuvor bin ich einem derart Schwindel erregend negativen Magma begegnet. Und einem moralischen Empfinden, das sich so hem-mungslos dem absoluten Bösen unterordnete. Es war schrecklich, Laurence, unvorstellbar schrecklich. Können Sie meine Angst begreifen, von einem schwarzen Loch verschlungen zu werden, und die Furcht, dass meine Seele niemals wieder das Licht erblicken würde?«
    Sie versicherte ihm, dass sie ihn gut verstehe, viel eicht sogar besser, als er es sich überhaupt vorstellen könne. Dann deutete sie auf 472

    die Packung mit Süßigkeiten und fragte ihn, ob er sich schuldig fühle wegen der tragischen Folgen der ›Deprogrammierung‹ von Jean-Louis.
    »Welch unerwartete, abwegige Frage! Sein Schicksal war doch lange vor unserer Begegnung schon bestimmt, einschließlich der Höl-lenqualen am Ende! Ich habe lediglich den Ablauf etwas beschleunigt, aber was soll's? Es gibt keinen Kalender, der für die Ewigkeit Gültigkeit hätte. Und diese kleine Aufmerksamkeit ist weder ein Ausdruck für Gewissensbisse noch für Bedenken, sondern eine kleine Geste echter Dankbarkeit.«
    »Dankbarkeit wofür?«, fragte Laurence, dabei kannte sie schon die Antwort, ehe die schwere Baritonstimme sie selbst gab:
    »Dafür, dass Fjodor Gregorowitsch wieder zu seinem lebensnot-wendigen Egoismus und zur Kraft des Verabscheuens fand.«
    Am frühen Nachmittag kam Antoine Becker vorbei, um Laurence abzuholen. Sie stieg zu ihm in den Wagen und flüchtete sich, nach dem mühsamen Austausch von Belanglosigkeiten, in Schweigen.
    Sie war erst gute zehn Minuten zuvor aus Neuilly ins Hotel zu-rückgekehrt. Am Empfang hatte man ihr die auf einen blauen Zettel geschriebene telefonische Nachricht Kierstens übermittelt.
    Sie war noch jetzt ganz aufgewühlt: »Die beiden Mädchen sind bei mir. Es ist alles in Ordnung. Ich betone (unterstrichen): alles!
    Ich rufe am späteren Abend nochmals an.«
    Sie schwiegen beide während des größten Teils der Fahrt. Antoine hatte das Autoradio ausgeschaltet und stattdessen eine Kassette mit Faurés Requiem eingelegt. Laurence war ihm insgeheim dankbar da-für und zugleich auch betroffen darüber, dass er eine Musik ausgewählt hatte, die so gut zu ihrer seelischen Verfassung passte. Er wartete das Ende der Aufnahme ab und überfiel sie dann ohne jede Vorbereitung mit der Frage:
    473

    »Was halten Sie von mir?«
    Sein Tonfall versetzte sie in erhöhte Aufmerksamkeit – sie entnahm ihm etwas Flehendes und Gequältes. Und sie begriff, dass ihn diese Frage große Überwindung gekostet haben musste und dass sie ihr nicht mit Gemeinplätzen ausweichen konnte.
    »Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht gut beieinander sind«, antwortete sie schließlich. »Und Sie spielen ständig jemanden, der Sie gar nicht sind. Fürchten Sie denn nicht, dass diese Maske, die Sie da ständig tragen, einmal an Ihnen kleben bleibt?«
    »So mit mir verwächst, dass ich sie nicht mehr abstreifen kann?«
    »Etwas in dieser Art, ja. Oder, was noch schlimmer wäre: dass hinter der Maske überhaupt keine Person mehr steckt.«
    Sie spürte, wie er sich steif ans Lenkrad klammerte, und dachte:
    »So, das war wohl nun das Ende der Diskussion.« Doch da täuschte sie sich.
    »Sie haben das richtig erkannt! Ich spiele immer eine festgelegte Rolle, das muss ich zugeben. Aber warum eigentlich? Habe ich Angst davor, dass die Leute sich von mir abwenden, wenn ich ihnen mein wahres Gesicht zeige? Dabei bin ich doch, trotz all meiner Fehler, nicht durch und durch verdorben, oder?«
    »Sie reden von der Meinung der Leute. Aber ist es nicht vielmehr Ihre eigene Vorstellung von sich, die Sie zur Flucht veranlasst?«
    »Zur Flucht? Das ist aber ein großes Wort…«
    »Trotzdem: Ich hatte oft den Eindruck, dass Sie auf der Flucht vor sich selbst sind. Aber früher, das ist richtig, hätte ich das nicht so ausdrücken können. Und was das ›durch und durch verdorben‹
    betrifft: Da genügt es doch schon, ein Mensch zu sein und seinen Dämonen nachzugeben …«
    Er wandte seine Augen kurz von der Straße ab, um ihr einen intensiven Blick zuzuwerfen:
    »Sie haben viel gelernt während Ihrer Gefangenschaft.«
    »Vor allem habe ich gelernt, vieles zu verabscheuen!«
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    »Seit einigen Tagen zwinge ich mich dazu, sehr aufmerksam meinen ›Dämonen‹ zu lauschen, wie Sie das nennen. Aber das, was ich da höre, setzt mir

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