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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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eine Lösung für sie finden, einen sicheren Zufluchtsort.
    Laurence lag neben ihr auf der Seite, die Augen geschlossen, gleichmäßig atmend. Sollte sie eingeschlafen sein? Kiersten zögerte, sie anzusprechen. Sie wandte den Kopf und betrachtete die Sichel des Mondes, die zwischen dem Laub der Weide durchschimmerte.
    Schließlich sagte sie doch:
    »Als ich Sie am Flughafen abholte heute Morgen … und anschließend bei der Herfahrt im Auto … wir haben kaum ein Wort miteinander gesprochen.«
    »War das denn nötig?« (In Laurences Stimme lag ein Lächeln.)
    »Nein, sicher nicht! Ich habe dabei entdeckt, dass sich mit Ihnen zusammen gut schweigen lässt… Gewöhnlich versetzt mich Schweigen in einen Zustand der Spannung. Sogar bei Angehörigen … vor allem bei meinem Vater!«
    »Sie wirkten sogar verlegen, als Sie mich ihm vorgestellt haben …«
    Kiersten fühlte, wie sie rot wurde. Nein, in ihrem Alter! Wie gut, dass die Dunkelheit das verbarg. Nun musste sie nur noch ihre 495

    Stimme in der Gewalt behalten, um antworten zu können, dass der Richter der Mensch sei, den sie auf der ganzen Welt am meisten be-wundere und achte. Wegen seiner Geradlinigkeit ebenso wie wegen seiner Menschlichkeit…
    »Gleichwohl ist er … etwas streng«, fügte sie hinzu. »In bestimmten Dingen hängt er sehr an den Vorstellungen vergangener Zeiten.«
    »Ich habe ihn im Laufe des Nachmittags beobachtet. Da kam er mir aber ganz und gar nicht streng vor. Er bog sich gemeinsam mit Enrico und Luigi vor Lachen.«
    »Er? Das hätte ich zu gern miterlebt. Sandrine wird da gewesen sein, nehme ich mal an … Die war noch nicht drei, als sie ihn dazu brachte, auf allen vieren den brummenden Bären zu spielen. Das müssen Sie sich einmal vorstellen!«
    Laurence murmelte etwas, das bedeuten konnte, dass sie sich das sehr wohl vorstellen könne. Das Herz war ihr zu schwer, um näher darauf einzugehen: Sie musste an ihren eigenen Brummbären denken, ihren Vater, der sie ohne jede Vorwarnung vor kurzer Zeit verlassen hatte.
    Nach einem nachdenklichen Schweigen sagte Kiersten, sie habe vorhin noch die Mädchen gesehen, und diese Verwandlung sei ja unglaublich. Keineswegs nur im Äußeren …
    »Was mich besonders verblüfft, ist die Feststellung, dass sie sich so rasch wieder von all dem erholt haben. Es wirkt ganz so, als ob nichts sie so beeindrucke wie die Tatsache, dass sie hier leben wie die Prinzessinnen – und dabei ist es doch kaum zwei Tage her, seit sie aus diesem Lagerhaus befreit wurden… Ich glaube fast, dass mir diese ganze Geschichte mehr zugesetzt hat als Sandrine.«
    »Sie wird das erst später verarbeiten, wenn sie wieder in ihrer gewohnten Umgebung ist«, versicherte Laurence. »Ich kenne das!«
    »Wenn das geschieht, werden Sie uns hoffentlich helfen, wachsam zu bleiben … Übrigens, haben Sie sich mal ihre Narbe angeschaut?«
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    »Ja, das ist so gut wie nichts. Ich habe ihr gesagt, eine kurze La-serbehandlung würde völlig genügen, um das zum Verschwinden zu bringen. Aber sie hat mir geantwortet, sie denke gar nicht daran.
    Sie ist regelrecht stolz darauf!«
    »Da verstehe ich sie ganz entschieden nicht! Trotzdem habe ich mich ihr noch nie so nahe gefühlt wie gerade jetzt. Aber leider schaffe ich es immer, stets die falschen Fragen im falschen Augenblick zu stellen! Es will mir einfach nicht gelingen, herauszubekommen, was sie tatsächlich denkt – sie weicht mir immer mit Banalitä-
    ten aus.«
    »Dann muss man eben mit Banalitäten beginnen! Sie haben sich doch seit Jahren nicht mehr richtig unterhalten. Da ist das schwierig, für sie auch … Wäre es nicht besser, statt sie auszufragen, ihr anzuvertrauen, was Sie, Sie selbst, tatsächlich denken?«
    »Was ich über sie denke?«
    »Aber nein! Über sich selbst…«
    Die Mondsichel dort droben begann sich zu verstecken. »Ich will jetzt nicht schon wieder damit anfangen«, sagte sich Kiersten. »Gestern auf dem Schiff, nun gut! Aber nicht jetzt und nicht hier!« Sie fühlte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. War es das, was Teddybär gemeint hatte, als er sie ermuntert hatte, ›es kommen zu lassen‹?
    Sie streckte den Arm aus, fühlte das Gras daran kitzeln und fand eine Hand, die sich ihr entgegenstreckte.
    Sandrine hatte rasch erraten, dass der ihr vorgeschlagene Ausflug einem ganz bestimmten Zweck diente. William MacMillan hatte ein paar früher erlernte Brocken Italienisch ausgegraben, um Paolo, Buliones Chauffeur, einige Anweisungen zu geben.

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