Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
an seinem Vorschlag interessiert sei.
Sie stand schwungvoll auf und erschreckte damit Cashew, die sich mit protestierendem Miauen unter das Sofa verkroch. Sie machte drei Schritte in Richtung Flur und blieb dann plötzlich stehen, um sich zu fragen, was sie denn da vorhabe – die Lichter zu löschen und damit Thierry ein Zeichen zu geben, dass er nun verschwinden solle. Sie könnte sie doch auch brennen lassen bis zum Morgen, um ihn für seine Unverschämtheit mit einer schlaflosen Nacht zu bestrafen.
Sie ging ins Schlafzimmer, wo sie im Halbdunkel mit dem Fernglas durch das Fenster beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Ein grauer Volvo stand mit eingeschaltetem Standlicht am Gehsteig gegenüber. »Eigentlich nicht der Wagen, den ich mir für ihn vorgestellt hätte«, fand sie. »Viel zu wuchtig!«
Thierry saß hinter dem Lenkrad und schien etwas in ein Heft zu schreiben. Ob er eine letzte Botschaft an sie verfasste, um sich zu rechtfertigen? Oder sich zu entschuldigen? Oder schlug er vielleicht die Zeit damit tot, an neuen Algorithmen für Pinocchio zu tüfteln?
Er drehte den Kopf und schaute nach oben; ganz unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Dann fuhr es ihr schlagartig durch den Kopf: Der Bursche da unten war kein irgendwer! Sein Lügendetektor würde früher oder später ein Bombenerfolg werden! Und die Art, wie er heute Morgen dem alten Clarkson die Stirn geboten hatte – Hut ab! »Aber wie kann man nur so ein Köpfchen haben und von Sklaverei träumen?«, fragte sie sich verblüfft.
Sie zuckte zusammen, als sie begriff, dass ihre Entscheidung gefal-158
len war. Denn es stieg der Zweifel in ihr auf, ob sie überhaupt die Erwartungen von Chose erfüllen könne, ob sie seinen Wünschen nach Beherrschung gewachsen sei, ob sie Überlegenheit zeigen kön-ne. Thierry interessierte sie, zugegeben, und sie hätte sich ja auch weigern können, seine Herausforderung anzunehmen – aber aufgrund einer freien Entscheidung und nicht aus Furcht. Nun aber wollte sie es mit seinen Wünschen und seiner Neugier aufnehmen, weniger wohl mit seinem Stolz.
Sie trat entschlossen zum Hauptlichtschalter im Wohnzimmer und knipste ihn mehrmals aus und an.
Kiersten hatte den Riegel an der Tür zum Treppenhaus zurückge-schoben und sie einen Spalt breit offen gelassen. Bloß kein höflicher Empfang – einmal war genug!
Thierry hatte begriffen und war hereingekommen, ohne anzuklop-fen. Das Licht der Straßenlaternen reichte aus, um sich im Wohnzimmer zurechtzufinden, ohne sich an den Möbeln zu stoßen.
»Stellen Sie sich dort vor den Kamin, damit ich Sie anschauen kann!«, befahl sie.
Sie hatte sich in eine dunkle Ecke mit dem Rücken zum Fenster gesetzt. Auf diese Weise konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, und das war gut so. Zufrieden war sie auch mit der Festigkeit ihrer Stimme. Nachdem sie sich jetzt einmal entschieden hatte, hätte sie mit niemandem tauschen wollen.
»Ziehen Sie sich aus!«
Er streifte mit einer geschmeidigen Bewegung den Pullover über den Kopf und ließ ihn auf den Teppich fallen. Dann begann er sein Hemd aufzuknöpfen und benahm sich dabei so lässig, als sei es etwas ganz Alltägliches für ihn, nachts allein zu Frauen zu kommen und sich dort auf deren Befehl hin auszuziehen. Dabei zweifelte Kiersten keinen Augenblick daran, dass diese Situation für ihn 159
genauso neu war wie für sie selbst. Seine Lässigkeit war nur gespielt.
Es war so gut wie sicher, dass ihm der Atem stockte.
»Nicht so schnell!«
Er verlangsamte das Aufknöpfen, aber das entsprach noch immer nicht ihrer Vorstellung.
»Langsamer, habe ich gesagt! Wie in Zeitlupe beim Film. Ich habe schließlich Zeit.«
Sie war erstaunt darüber, plötzlich so rasch und genau zu wissen, was sie wollte. Auf erotischem Gebiet war das eine ganz neue Erfahrung für sie.
Er hatte es jetzt begriffen. Die extreme Langsamkeit seiner Bewegungen verlieh ihnen etwas Schwebendes. Er nahm das wahr und verlangsamte sie noch mehr, was ihnen einen Anstrich von Laszivi-tät verlieh. Sie erriet, dass ihre letzte Weisung in ihm wahres Vergnügen ausgelöst hatte. Er löste seinen Gürtel und ließ, ohne sich zu bücken, seine Hose einfach an seinen Beinen hinuntergleiten, indem er das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte.
Dann beugte er die Hüften zur Seite, um erst mit dem einen und dann mit dem anderen Fuß herauszusteigen. Schließlich schob er, ohne den Kopf zu senken, eine Ferse vor die Spitze des
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