Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Snuffs kannte er zwar, hatte sich aber keines länger als eine oder zwei Minuten lang angeschaut; das Schauspiel des Leidens brachte ihm keinerlei Genuss. Andererseits verschaffte ihm das Bewusstsein, dass allein auf seine Veranlassung hin die Kleine binnen kürzester Zeit nach Istanbul geschafft werden würde, dass man sie dort den Geweihten der ›Spezialabteilung‹ übergeben würde und dass der über ihr langsames Sterben gedrehte Film einen finanziellen Beitrag zur weiteren Ausbreitung der Universellen Vereinigungskirche leisten würde, eine unbeschreibliche Erleichterung.
Der Erste Ratgeber D'Altamirandas verdrängte – und das sehr bewusst und aus gutem Grund –, dass das Böse, über das er Regie führte, der Betäubung einer den tiefsten Grund seiner Seele beherrschenden verheerenden Angst diente: Dass er nämlich für das aus seiner Lethargie erwachte höllische Untier nichts weiter wäre als ein kleiner Happen …
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12. KAPITEL
iersten informierte William MacMillan über ihre Absicht, Mo-Kna-Lisa Peres zu einem polizeilichen Verhör vorzuladen.
»Riskierst du damit nicht, sie erst hellhörig zu machen? Nun ja, daran wirst du sicher selbst schon gedacht haben. Ich kann dir nicht verhehlen, dass diese Geschichte mich sehr beschäftigt. Und ich kann schließlich Luc Bastien nicht auf Dauer im Unklaren lassen!«
»Soll das heißen, dass er nicht eingeweiht ist?«
Sorgfältig seine Worte abwägend, vertraute der Richter ihr an, dass er glaube, ›eine gewisse Vertrautheit‹ zwischen seinem persönlichen Referenten und der jungen Dame beobachtet zu haben: Heimliche Blicke, verlegenes Schweigen, Überschneidungen der Terminpläne … Nichts Eindeutiges jedoch bisher…
»Meinst du? Dass Bastien mit einer Praktikantin herumtändelt, ist seine Sache. Aber wer sagt uns denn, dass die Gemeinsamkeit dabei endet? Schließlich hat er sie doch eingestellt!«
Der alte Herr bat sie, zu bedenken, dass Bastien immerhin schon seit fünfzehn Jahren für ihn tätig sei – und das sei für ihn schon ein Anlass dafür, zunächst einmal an dessen Loyalität nicht zu zweifeln.
Ansonsten: bisher nichts als Vermutungen. Er mache sich schon jetzt Vorwürfe, sie überhaupt erwähnt zu haben. Abgesehen davon, 199
dass Luc verheiratet sei und seine Frau Karina gerade ihr drittes Kind erwarte. Nicht unbedingt der geeignete Zeitpunkt, um ein Fa-miliendrama heraufzubeschwören, nicht wahr?
Sie versicherte ihm, sehr diskret vorzugehen. Sie setzte das gleich in die Tat um, indem sie ihm verschwieg, dass die Peres bereits jetzt schon einer Dauerüberwachung rund um die Uhr unterworfen war, dass ihre Post kontrolliert wurde und ebenso ihr Telefon. Erbracht hatten diese Maßnahmen bisher nichts, was weiter nicht erstaunlich war, falls die Dame, um in der Sprache der Geheimdienste zu reden, ein ›Maulwurf‹ war. Um das herauszubekommen, hatte man sich einen Schuss vor den Bug ausgedacht, um sie aufzuschrecken.
Ein Versuch, bei dem sich ein Risiko nicht vermeiden ließ.
Mona-Lisa nahm verschüchtert auf dem einzigen freien Stuhl Platz.
Er war mit unsichtbaren kleinen Krallen versehen, um ein Wegrut-schen auf dem Teppichboden zu verhindern. Unsichtbar war auch die kleine Kamera, mit der man das ganze Gespräch filmen würde.
Der Stellvertretende Inspektor Boniface war kein Freund ›beruhigender Einleitungen‹. Er hielt Mona-Lisa sogleich ein Foto von Farik Kemal unter die Nase. »Kennen Sie diesen Mann?«
»Nein … nicht dass ich wüsste!«
»Eine andere Antwort hätte mich auch überrascht. Ein Drogenhändler … Ohne es zu wissen, haben Sie sich zur gleichen Zeit wie er am Flughafen von Zürich aufgehalten.«
»Ist das der Grund dafür, dass Sie mich vorgeladen haben?«
»Genau! Im Duty-free-Shop haben Sie ein kleines Päckchen liegen lassen … Ein Buch vielleicht?«
»Ein Buch? Nein … dort habe ich es also vergessen.«
»Was vergessen?«
»Dieses Päckchen mit einer Videokassette drin. Die Aufnahme einer … einer religiösen Zeremonie. Es lag mir viel daran.«
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»Der Verdächtige hat es von dem Ladentisch, auf dem Sie es liegen ließen, an sich genommen. Leider hat er es nicht als gefunden abgegeben, sondern in seine Tasche gesteckt. Er muss sehr enttäuscht gewesen sein! Denn er ist keineswegs der Typ, der jeden Sonntag zur Messe geht.«
Er begleitete seinen Scherz mit herzhaftem Lachen. Seine Rolle als nicht unbedingt mit überragenden Geistesgaben gesegneter Polizist spielte er glänzend. Er tat
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