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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Unabhängigkeit richtig ein und ihre Skepsis? Wenn sie ihren Aufenthalt verlängert hätte (typisch für die Übertreibungen seines Vaters, von einem ›Urlaub‹ zu sprechen!), hätte sie bestimmt früher oder später tief schürfende Fragen gestellt 193

    und sich nicht mit halben Antworten zufrieden gegeben.
    Dora bestätigte ihm, dass die Dottoressa noch nicht soweit sei, die Erste Schwelle zu überschreiten, »trotz ihrer großen geistigen Fähigkeiten und ihrer Aufgeschlossenheit«.
    »Wenn Sie erlauben«, fügte sie mit einem Anflug von Vertraulichkeit hinzu, »gilt ihr Interesse wohl mehr dem Ersten Ratgeber. Was El Guía betrifft, beherrschen immer noch Zweifel ihr Herz.«
    »Sind Sie dessen sicher? Ich hatte eher den Eindruck, dass … Aber lassen wir das. Wenn sie schon jemandem misstraut, dann wäre das eher mir gegenüber angebracht.«
    »Nicht so, wie Sie meinen. Aber unter Frauen sagt man so was eben…«
    Er sprach dann mit ihr über Gabriella und die große Bevorzugung, in solch zartem Alter schon die Aufnahme ins Mutterhaus der Kirche gewährt zu bekommen, sowie die überragende Bedeutung der persönlichen Begegnung mit ihrem Gründer. Er war beruhigt: Dora verstand das Symbol der Darbringung der Blume, der Reinigung der Seele durch das Fleisch. Sie antwortete in versteckten Andeutungen ohne deplatzierte Vertraulichkeit, durchdrungen von Stolz und Dankbarkeit bei der Vorstellung, den Absichten des Großen Führers persönlich entsprechen zu dürfen.
    Am Abend bereitete Jean-Louis dann in einem langen Gespräch unter vier Augen das Mädchen vor und erklärte ihr, dass der Mann, zu dem es jetzt kommen würde, in Zukunft die Stelle eines Vaters ihr gegenüber einnehmen würde: Sie schulde ihm Ehrerbietung und Gehorsam. Dann führte er sie in die Privaträume El Guías. Er hatte sich Unterlagen mitgebracht – den Organisationsplan für die Große Versammlung – und ließ sich damit im Vorzimmer nieder, nachdem er den wachhabenden Geweihten hinausgeschickt hatte. Er wollte lieber in Reichweite bleiben, für alle Fälle. Seit diesem Zwi-schenfall mit dem armenischen Jungen war er besonders vorsichtig.
    Selbst bei den ganz hingebungsvoll wirkenden und sorgfältig vorbe-194

    reiteten Kindern konnte man vor unerwarteten Reaktionen nicht sicher sein. Noch heute war ihm die Erinnerung an diesen Vorfall ganz unerträglich. Der Junge hatte El Guía das Gesicht zerkratzt, und dieser hatte seinen Zorn nicht verhehlt, er, der doch sonst kein heftiges Wort für seine Umgebung fand.
    Er machte sich Vorwürfe, dass er Laurence nicht nachdrücklicher nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung der Kleinen gefragt hatte. Dabei hatte er doch ein gewisses Zögern in ihrer Stimme zu verspüren geglaubt. Warum nur hatte er sich mit einer un-genauen Antwort zufrieden gegeben? Dabei kannte er doch die Forderung El Guías nach Jungfräulichkeit – eine berechtigte Forderung: Nur ein reiner und unberührter Leib war seiner Einweihung würdig.
    Seine Lektüre wurde unterbrochen durch einen langen Schrei, gefolgt von Schluchzen, das man zu ersticken suchte. Dann trat wieder Schweigen ein, und er war beruhigt. Man hatte also Gewalt an-wenden müssen, um das Mädchen zu entjungfern. Er hoffte, dass es nach Überwindung des ersten Schreckens seine Dankbarkeit be-zeugen würde. Er beneidete es aus ganzer Seele.
    Er selbst hatte aus Zeitmangel sich noch nicht der rituellen Kas-tration unterziehen können, die für die Geweihten des Schwarzen Ordens üblich war. Dennoch hatte er auf jegliche sexuelle Betätigung verzichtet. Er nahm Medikamente zur Unterdrückung des Ge-schlechtstriebs. Dennoch hätte er sich jederzeit auf ein Zeichen hin in Ekstase vor El Guía niedergekniet und wäre ihm zu Diensten gewesen.
    Am frühen Morgen wurde er durch das Klingeln des Telefons geweckt. Die rote Leitung … Es musste eine dringende Nachricht sein, sonst hätte man ihn nicht gestört. Er nahm ab und hörte den schrillen Ton, mit dem eine Faxübermittlung angekündigt wurde, 195

    gefolgt von einem Signal, das die Verschlüsselung des Anrufs an-zeigte. Er gab eine geheime Kennziffer ein, die das Gespräch nur für ihn verständlich machte, und hörte die Stimme von Giuseppe Trocchia, ihrem Gebietsleiter für die Region Neapel. Die Angelegenheit war sehr ernst, keine Frage. Jean-Louis hörte zunächst ungerührt zu, stellte dann einige wenige Fragen und legte auf. Diese Krisensituation forderte aufs Höchste seine Kaltblütigkeit und

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