Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
greifbares 235
Indiz…
Das Telefon klingelte, am Apparat war Saltaniwsky. Der Verletzte war wieder zu sich gekommen und hatte seine Aussage machen können: Er sei in seinem Zimmer von einem Einbrecher überfallen worden. Leutnant Russel glaubte ihm kein einziges Wort. Kemal hatte sich im Krankenwagen übergeben müssen, und er hätte gerne von ihm gewusst, wie ein Vermögen an Geldscheinen in seinen Magen gekommen war. Etwas kam noch dazu: Als der Krankenwagen unterwegs war zum Memorial Hospital, hatte er darauf bestanden, ins Riverside-Krankenhaus gebracht zu werden.
Während Kiersten mit Saltaniwsky telefonierte, blätterte Thierry in dem Katalog. Dann stand er auf und trat zum Fenster und blickte, ihr den Rücken zukehrend, hinaus. Diese vorgetäuschte Diskretion konnte sie natürlich nicht blenden; dass ihm kein Wort des Gesprächs entging, war gewiss.
Sie legte auf. Was gab es da draußen Interessantes zu sehen? Sie glaubte ein unterdrücktes Seufzen zu hören. Wie hatte sie nur so unsensibel sein können!
»Man wird eben doch nicht mit allem fertig«, sagte sie leise. »Aber um mit all diesem Schrecklichen leben zu können, bildet man sich ein, darüber wisse doch jeder Bescheid …«
Er wandte sich mit betroffenem Gesicht um.
»Ich habe über meine Nasenspitze nicht hinausgeschaut. Dabei habe ich mehr über diese Snuffs gewusst als wohl die meisten hier im Haus, allein schon durch all das, was ich aus Ihren Aufzeich-nungen herausspioniert habe. Aber für mich war das etwas Abstrak-tes… Nun aber … Dieser Katalog da mit seinen genauen Beschrei-bungen und den Preisangaben zu diesen … diesen…«
Er fand keine Worte mehr, aber sie bedeutete ihm mit einer Geste, dass sie ihn schon verstehe. Mehr wollte sie ihm nicht sagen, und sie mochte ihm insbesondere auch nicht eingestehen, dass sie sich ihm noch nie so nahe gefühlt hatte wie in diesem Augenblick.
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Zum ersten Mal war es ihr unmöglich, ein Snuff bis zum Ende anzuschauen. Sie hatte Patricia gebeten, dafür zu sorgen, dass sie ungestört blieb. Juliens Andeutungen und die Notizen Farik Kemals hatten sie schon auf das Schlimmste vorbereitet. Das glaubte sie zumindest, als sie sich vor den Bildschirm setzte, ein Diktiergerät in der Hand, um ihre Beobachtungen festzuhalten. Drei oder vier davon hatte sie während der ersten paar Minuten auf das Band gesprochen, dann war sie verstummt, von Grauen und Widerwillen überwältigt.
Nach fünfundzwanzig Minuten schaltete sie den Recorder aus.
Trotz eines geradezu panischen Bedürfnisses, Bescheid zu wissen, konnte sie sich auch nicht dazu entschließen, das Videoband mit erhöhter Geschwindigkeit ablaufen zu lassen, um wenigstens noch die letzten Szenen zu sehen. So musste sie auch auf eine Notiz darüber verzichten, ob der Film einen oder zwei Morde zeigte. Zwar war sie davon überzeugt, dass auch die junge Mutter den Tod ihres Kindes nicht lange überlebt hatte; aber eine Intuition konnte einen festgestellten Tatbestand nicht ersetzen.
Zurück im Büro, fand sie auf ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht, die kaum dazu angetan war, ihre Stimmung zu verbessern.
Andererseits war die Angelegenheit nebensächlich: Mimi Jokhadar hatte sich beim Blick in ihren Terminkalender vertan, der Besuch beim Zahnarzt war noch für heute vereinbart. Sie würde also Cashew gegen Ende des Nachmittags abholen.
Kiersten hatte es längst aufgegeben, über die unablässigen Irrtü-
mer, Missverständnisse und Verwechslungen Buch zu führen, die so typisch waren für diese Freundschaft. Wieso regte sie sich eigentlich immer noch darüber auf – nach nunmehr achtzehn Jahren? Als Kiersten gerade gehen wollte, klingelte das Telefon. Es war Julien, und sie ärgerte sich darüber, den Hörer noch abgenommen zu ha-237
ben. Als sie eine gewisse Verbitterung in seiner Stimme zu vernehmen glaubte, beeilte sie sich, ihm zu versichern, sie hätte ihn schon am frühen Nachmittag zu erreichen versucht.
Es folgte ein kurzes Schweigen, das ihren Verdacht bestätigte.
»Ach so«, sagte er schließlich. »Man hat mir nichts gesagt von einer hinterlassenen Nachricht.«
Sie verkniff es sich, ihm mitzuteilen, dass sie dazu auch keine Gelegenheit gehabt habe, weil Rose sofort aufgelegt hatte, als sie sich meldete. Sie informierte ihn über die Entdeckung, die Thierry be-züglich dieses Satzprogramms Rembrandt 4.0 gemacht hatte.
»Ganz entschieden, Ihr Protege übertrifft sich! Hatten Sie übrigens Zeit, sich das
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