Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Gesellschaft unseren Freund hingesetzt. Ihn kann man immerhin nicht übersehen.«
»Es hat ihm die Sicherungen herausgehauen«, meinte Kiersten.
»Ich kenne noch keine Details und weiß nur, dass unser Verdächtiger ganz übel zugerichtet wurde. Gebrochenes Nasenbein, zertrümmerter Kiefer, ein Dutzend weiterer Verletzungen. Und ein Riss in der Milz … Scheiße!«
Sie zuckte zusammen, als Teddybär ihr die Hand auf die Schulter legte – eine tröstende Geste. Sie warf ihm einen schrägen Blick zu.
»Woran denken Sie?«
»An die Schaukel«, antwortete der Psychiater verblüfft. »Sie haben sie behalten, obwohl doch Jonathan ihr einziges Kind war, soweit ich weiß. So, die Blockade scheint sich zu lösen, wie ich sehe …«
Julien hatte zu sprechen begonnen. Was er sagte, war wegen der 228
Entfernung nicht zu verstehen. Aber man konnte sehen, dass sich zunächst einzelne Worte formten, dann allmählich Sätze, die erst zögernd kamen und sich schließlich überstürzten.
Kiersten war versucht, wegzuschauen, um den Gefühlen auszuweichen, die nicht ihre Sache waren. Doch die Szene war zu bewegend: Balzac hörte mit zur Seite geneigtem Kopf zu, seine Ohren spielten lebhaft. Er schien auf jede Nuance dieser Beichte zu lauschen, die da vor ihm in der sonnigen Frische des Morgens abgelegt wurde.
Nachdem er die Vorführung beim Senator Murdstone verlassen hatte, war Julien schnurstracks zum ›Château Laurier‹ gefahren. Dort hatte er Farik Kemal in seinem Bett überrascht, wo dieser im Programm der in Memphis stattfindenden Gartenschau blätterte. Er hatte ihn mit Handschellen ans Bettgestel gefesselt und ihn, in seinen Worten, »mehr oder weniger rangenommen«.
Der Türke hatte überrascht aufgeschrien, auf seine Rechte verwiesen und nach einem Rechtsanwalt verlangt. Als seine Proteste unter dem Kopfkissen erstickt wurden, musste er erkennen, dass sein Angreifer aus eigenem Antrieb handelte und mit ihm machen würde, was er wollte. Er bot ihm Geld an – »da, auf dem Nachttisch, über fünftausend Dollar, und die Kreditkarten können Sie auch noch nehmen!« Richtig Angst bekommen hatte er, als Julien das Geld aus der Brieftasche nahm und die Fünfzig- und Hundert-Dollar-Scheine in Hälften, Viertel, Achtel und schließlich Sechzehntel zerriss… Er hatte ihm die Schnipsel wie Konfetti in den Mund gestopft und ihn gezwungen, sie hinunterzuwürgen.
Nach und nach hatte Julien aus Kemal alles heraus geprügelt.
Dieser hatte es zunächst noch mit Täuschungsmanövern versucht, wurde aber allmählich gesprächiger, als der unbekannte Besucher sein unbarmherziges Verhör fortsetzte. Schließlich hatte er sich in das Unvermeidliche gefügt: Sein Gegner hatte schließlich noch die 229
ganze Nacht zur Verfügung und schien zu allem entschlossen, um seinen Widerstand zu brechen. Dessen erneuter Griff zum Kopfkissen, unter dem er zu ersticken drohte, entlockte ihm ein weiteres Geheimnis: das der automatischen Löschung der Snuffs.
Ehe er ging, hatte Julien das Schlafzimmer und den angrenzenden Wohnraum auf den Kopf gestellt. Er fand dabei ein Heft mit Notizen, und als er darin blätterte, stieß er (ein Zufall?) auf Anmerkungen zur Regie von Die Frau und die Ratten. Dort hieß es: 1) Mutter und Kind unter drei Jahren (möglichst einziges) 2) Keinesfalls Schokolade kurz vor Beginn zur Anlockung der Ratten vergessen
3) Ratten müssen einzeln eingelassen werden, damit Angriffe nach und nach erfolgen und ein zu rasches Ende vermieden wird 4) Korb mit etwa hundert Schlüsseln; natürlich darf keiner davon passen …
Kiersten, Julien und Hochwürden Paddington saßen inzwischen auf der Terrasse. Rose hatte ihnen stumm Kaffee und Gebäck serviert.
Auf einem Beistelltischchen lag das geöffnete Aktenköfferchen Farik Kemals.
»Dieses ›natürlich‹ ließ schließlich die Sicherungen bei mir durch-brennen – ich sah rot.«
»Ich begreife das nicht!«, schrie Kiersten und ließ das Notizbuch sinken. »Kemal hatte doch schon ausgepackt! Warum ihn dann noch zusammenschlagen? Noch dazu mit Handschellen gefesselt… Ich kann Sie nicht decken, Julien, das ist einfach zu schwer wiegend!«
Teddybär stand lautlos auf und entfernte sich, seine Kaffeetasse in der Hand; ein kleiner Spaziergang im Garten war jetzt sicher das Richtige.
»Ich erwarte keinerlei Gefälligkeit von Ihnen«, antwortete Julien 230
und presste die Kiefer zusammen. Dann entnahm er dem Köfferchen eine Videokassette und legte sie vor Kiersten hin.
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