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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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mit Marcel Guilbert?«
    »Ich habe sie abgesagt. Ich wüsste nichts, was ich ihm zu sagen hätte…«
    Beim Hinausgehen drehte er sich an der Tür nochmals um. Seine Lippen zuckten.
    »Haben Sie es sich bis zum Schluss angeschaut?«
    Sie schüttelte den Kopf. Beiden stand der gleiche Abscheu in den Augen, beide hatten das gleiche Gift im Blut, beide hatten die gleichen Bilder im Kopf: eine leere Schaukel im Garten und einen Korb voller Schlüssel, die nichts nützten …
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    14. KAPITEL
    us Rom hatte zweimal eine gewisse Lydia Frescobaldi bei Kiers-Aten angerufen. Beim ersten Gespräch war es um die Anfrage gegangen, ob die GRC an der Teilnahme an einer auf Veranlassung Italiens einberufenen Konferenz über Snuffs interessiert sei. Beim zweiten Telefonat hatte sie ihr eine gute Reise gewünscht und ihr die Nummer gegeben, unter der sie in Paris zu erreichen sei. Sie wohne im Hotel ›Lutetia‹, und warum wolle die kanadische Kollegin, falls sie nicht schon anderweitig gebucht habe, denn nicht auch dort absteigen? Das Haus sei sehr zu empfehlen, und es wäre doch nett, dort gemeinsam zu wohnen.
    Kiersten meinte, aus der Stimme der Dame einen amüsierten Unterton herauszuhören. Obendrein befand sie, leicht verwirrt: »Sie spricht mit mir, als ob sie mich kenne.«
    Kiersten hatte sich keineswegs schon für ein bestimmtes Hotel entschieden, aber laut Liste der Finanzabteilung zählte das ›Lutetia‹
    zu den Häusern, die Ministern, Senatoren und sonstigen Leuten dieses Ranges vorbehalten waren. Ihre Sekretärin Patricia hatte also für sie ein preiswerteres Haus wählen müssen: ein Vier-Sterne-Hotel in der Rue Grégoire-de-Tours, das sich in aller Bescheidenheit
    ›Grand Hôtel de l'Univers‹ nannte.
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    Kiersten traf dort am frühen Samstagvormittag ein. Das Zimmer war klein, aber gemütlich und hübsch eingerichtet. Nachdem sie ihre Sachen eingeräumt hatte, beschloss sie, die Zeit und das sonnige Wetter für einen Spaziergang zu nutzen. Wann hatte sie sich zuletzt den Luxus leisten können, ganz nach Belieben herumzu-bummeln und dabei auch die Gedanken frei schweifen zu lassen?
    Wie ließ es sich erklären, dass all der üble Kram, der ihr noch den gestrigen Tag so verdorben hatte, nun plötzlich viel unbedeutender wirkte?
    Sie verlängerte ihren durch Aufenthalte auf Caféterrassen unter-brochenen Ausflug und kehrte erst gegen Ende des Nachmittags ins Hotel zurück, erschöpft und doch gleichermaßen beschwingt durch ein paar Gläser Rotwein und sicher auch unter dem Einfluss der Zeitverschiebung. Sie beschloss, sich bis zum Abendessen etwas hinzulegen. Ein Klingeln schreckte sie aus dem Tiefschlaf. Sie musste erst einmal zu sich kommen und sich klar werden, wo sie überhaupt war. Als sie den Hörer abnahm, erkannte sie die melodische Stimme Lydia Frescobaldis, hatte jedoch etwas Mühe, zu begreifen, dass deren Einladung zum Essen für ›jetzt gleich‹ galt und dass es Sonntag war und elf Uhr vorbei. Statt ein kurzes Nickerchen zu machen, hatte sie die ganze Nacht in ihrer Unterwäsche auf der Steppdecke verschlafen.
    Am Empfang des ›Lutetia‹ teilte ihr ein gepflegter junger Mann, blond und mit deutschem Akzent, auf Englisch mit, Frau Frescobaldi erwarte sie in ihrer Suite; im dritten Stock rechts bitte, leider müsse sie die Treppe nehmen, weil der Aufzug gerade an diesem Morgen eine Panne habe, und: »Schönen Aufenthalt noch hier in Paris.«
    Der Etagenkellner öffnete ihr die Tür zu Appartement 317. Er verneigte sich, um die Besucherin vorangehen zu lassen, und schob 245

    dann hinter ihr ein Rolltischchen mit einem üppigen Brunch hinein. Lydia telefonierte, in lässiger Pose auf einem langen Sofa sitzend. Mit einer Armbewegung lud sie ihren Gast ein, näher zu kommen und ihr gegenüber Platz zu nehmen auf einer kleinen, damastbezogenen Sitzbank mit abgerundeten Lehnen. Ohne sich in ihrer auf Italienisch geführten Unterhaltung stören zu lassen, genoss sie mit einem leisen Lachen die Überraschung, die sie Kiersten bereiten konnte.
    Diese hatte sofort die lebhaften dunklen Augen wiedererkannt, die strahlenden weißen Zähne und die typische Kurzhaarfrisur – das war Lydia Marchini, die Journalistin, die sie auf dem Empfang des kanadischen Botschafters in Rom kennen gelernt hatte und vor der sie dessen Sohn, Frédéric Delagrave, mit den Worte »Sie ist eine Spionin« gewarnt hatte, knapp eine Stunde, bevor er sich eine Kugel durch die Brust gejagt hatte. Heute spielte sie weder die Naive

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