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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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bauen. Zum Beispiel Luftschlösser.
    Psychotricks: Wie saure Arbeit süßer schmeckt
    Es war kurz vor 20 Uhr, als der Chef seiner Assistentin ein Kompliment machte: »Das ist wirklich toll, dass Sie mich abends nicht hängen lassen. Ich schätze es sehr, dass Sie sich so mit Ihrer Aufgabe identifizieren.«
    Endlich mal ein Chef mit sozialer Kompetenz? Endlich mal einer, der den Mund nicht nur zum Kritisieren, sondern auch zum Loben aufmacht? Nein, dieses Lob ist nicht selbstlos, es erfüllt einen Zweck: Als Fernsteuerung soll es die Assistentin in eine Richtung lenken, die ungünstig für sie ist, aber günstig für ihn.
    Denn eine zweite Botschaft schwingt mit: Ginge sie pünktlich aus dem Haus, so ließe sie ihren Chef hängen – und identifizierte sich nicht mit ihrer Aufgabe. Wenn sie es ihrem Chef recht machen will, muss sie weiter seine Arbeitszeiten teilen. Obwohl sie viel weniger als er verdient. Und obwohl ihr Vertrag, anders als seiner, Überstunden nicht beinhaltet.
    Es ist schon auffällig: Die freundlichen Worte, die Motivationsphrasen, die Lobgesänge fallen Chefs bevorzugt ein, wenn sie Zumutungen verteilen: »Sie sind der einzige Mann, dem ich dieses schwierige Projekt zutraue!« Das klingt besser als »Ich finde gerade keinen Blöderen!«, meint aber dasselbe. Und wenn der Chef sagt: »Durch Ihre Leistungen in der Vergangenheit haben Sie sich mein Vertrauen für solche Spezialaufgaben erworben«, kann gemeint sein: einmal Überstunden-Depp, immer Überstunden-Depp!
    Ein manipulatives Lob wirkt wie Zucker, den man bitterer Medizin beimengt, damit kranke Kinder sie schlucken: Der schlechte Beigeschmack soll übertüncht werden. Der Mitarbeiter soll nicht nur Überstunden leisten, Zusatzprojekte schultern und seine Freizeit vollends abschreiben – er soll das auch noch als Ehre betrachten!
    Solche Lob-Gedopten, die bis zum Umfallen arbeiten, erzeugen Druck auf ihre Kollegen, denn bald fragt der Chef: »Herr Müller bleibt jeden Abend bis 21 Uhr – warum müssen Sie dann schon um 18 Uhr gehen?«
    Ein anderer Psychotrick, um Arbeit abzuwälzen, ist die Mitleidsmasche; sie funktioniert zum Beispiel so: Kurz vor Feierabend, um 16.55 Uhr, platzt der Abteilungsleiter ins Büro der Industriekauffrau. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn sind tief wie Krater. Einen Aktenstapel drückt er an seine Brust. Seine Augenränder wirken wie ein Trauerflor, jede Depressionsklinik würde ihn als Akut-Patienten aufnehmen.
    »Was ist denn los, Chef?«, fragt die Mitarbeiterin in einer Tonlage, die man gegenüber gestürzten Kleinkindern anschlägt.
    »Ich bin ja so was von fertig«, jammert er, »das ist alles nicht mehr zu schaffen.«
    »Was ist nicht mehr zu schaffen?«
    Er senkt seinen Kopf langsam nach unten, bis sein Kinn den Aktenstapel berührt: »Das! Gestern war ich bis 22 Uhr im Büro, um den Kram abzuarbeiten. Aber ich pack es nicht mehr. Nicht allein.«
    Damit hat er nichts gefordert – aber die Retterin hat sein SOS dennoch empfangen: »Kann ich Ihnen denn helfen?«
    »Ich weiß doch, dass Sie gleich Feierabend haben.«
    »Ich könne ja dennoch …«
    »Das kann ich nicht verlangen!«
    Fast rührt es sie, dass ihr Chef so großzügig ist, sie nicht zwingen will! Und deshalb sagt sie: »Keine Widerrede, ich unterstütze Sie!«
    Schon schnappt die Helferfalle zu! Der Chef lässt einen Aktenstapel auf ihren Schreibtisch krachen, dass die Platte sich durchbiegt. Beiläufig teilt er mit, dass an jeder Akte drei weitere hängen; Nachschlag folgt. Und dann blättert er mal eben im Terminkalender: »Ach ja, die Akte Müller brauche ich morgen früh um 9 Uhr. Der Fall Schröder muss bis 21 Uhr fertig sein. Und für die Präsentation ist noch eine Rücksprache mit unserer spanischen Niederlassung nötig. Vielleicht können Sie in der kommenden Woche mal zwei Tage hinreisen.«
    Mit großen Schritten, wie ein Flüchtender, lässt er das Büro der Mitarbeiterin hinter sich. Gut möglich, dass er direkt auf den Tennisplatz eilt, der ohnehin für 18 Uhr gebucht war.
    Dieser Trick funktioniert immer: Der Chef appelliert an den Helferinstinkt, vor allem bei Mitarbeiterinnen. Mit der piepsenden Stimme eines Verschütteten meldet er sich zu Wort. Und sofort beginnen seine Mitarbeiter, ihn auszugraben – sprich die Arbeitstrümmer auf den eigenen Schreibtisch zu laden. Bis sie es sind, die vor lauter Arbeit ersticken.
    Dieses Vorgehen ist teuflisch: Während die offensichtliche Überstunden-Forderung den Abwehrreflex der

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