Bin ich hier der Depp
dem Applaus des amüsierten Publikums.
Wenn ein Mitarbeiter mit versteckter Kamera gefilmt wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er keinen Spaß versteht. Denn nicht Applaus oder Ruhm erwarten ihn, eher Anpfiff oder Kündigung. Chefs filmen nicht zur Unterhaltung, sondern um ihre Leute einzuschüchtern und auszuspionieren, gerne bis aufs Klo, wie Lidl es vorgemacht hat. In Weihnachtsreden werden Angestellte als »Mitunternehmer« gefeiert und zum eigenverantwortlichen Handeln animiert. Doch im Alltag ziehen etliche Firmen den strengen Blick des Aufsehers vor, gerne auch per Kamera.
Wer sich in den Aldi-Filialen (und bei anderen Discountern) umschaut, wird oft Kameras an der Decke bemerken. Angeblich geht es darum, Ladendiebstahl durch Kunden zu verhindern. Aber wenn ein Mitarbeiter »zufällig« bei der Verfehlung gefilmt wird, wie er einmal Luft holt statt neue Kisten mit Waren, darf er sicher sein: Der Chef hat’s registriert!
Da wird der Arbeitsplatz zum Big-Brother-Container, einem Raum ohne Intimität und Rückzugsfläche. Niemand kann sich in der Nase bohren oder unterm Arm kratzen, ohne fürchten zu müssen, dass der Chef die Szene in Nahaufnahme verfolgt. Jedes Wort, jede Geste, jeder Handgriff, mit welchem Kollegen man sich abgibt und mit welchem besser nicht: All das will im Arbeits-Container gut überlegt sein.
Der Mensch legt das Menschliche ab, er wird zur Arbeitsmaschine. Er folgt nicht mehr seiner Natur – etwa was die Pausenzeiten angeht –, sondern nur noch den mutmaßlichen Wunschvorstellungen seiner Firma. Pausenlose Überwachung führt zu pausenloser Arbeit. Das ist wohl so gewünscht.
Und natürlich überlassen es die Filialleiter nicht dem Zufall, was die Kameras einfangen! Eine hessische Aldi-Filiale machte Schlagzeilen, weil die Filialchefs ihre Kameras auf verdächtige Zonen der besonderen Art gezoomt hatten: auf Miniröcke, Frauenschenkel und tiefe Ausschnitte. Während die Kundinnen nichtsahnend einkauften, rückten ihnen die Voyeure per Kamera auf den Leib. Und um den Spaß perfekt zu machen, tauschten die Filialleiter ihre Videoausbeute auf Datenträger aus. [85]
In welchen Situationen zoomen Filialleiter ihre Mitarbeiter ins Bild? Wer kann sicher sein, dass nicht jedes Zucken seiner Gesichtsmuskeln gegen ihn verwendet wird? Und zeichnet die Firma womöglich in Stasi-Manier auf, was die Mitarbeiter in persönlichen Gesprächen über die Arbeitsbedingungen sagen? »Wo der Bürger keine Stimme hat, haben die Wände Ohren«, sagt die Schweizer Literaturwissenschaftlerin Jeannine Luczak.
Zum Beispiel galt das in einer hessischen Bäckerei. Dort hatte eine Mitarbeiterin ihre Chefin als »faules Biest« bezeichnet, während sie vertraulich mit einer Kollegin plauderte. Ihr Pech: Die mitlaufende Kamera hatte ein Mikrofon und speicherte auch den Ton. Die Chefin, diesmal gar nicht faul, schritt sofort zur Tat: Kündigung! [86]
Das hessische Landesarbeitsgericht entschied, die Aufzeichnung sei als Kündigungsgrund nicht verwertbar; die Mitarbeiterinnen hätten von der Vertraulichkeit ihres Gespräches ausgehen können. Doch der Betrieb beschäftigte weniger als fünf Arbeitnehmer. Deshalb galt kein Kündigungsschutz – und die ausspionierte Mitarbeiterin musste dennoch ihren Bäckerhut nehmen. [87]
Auch bei Aldi gibt es Kameras, die bewusst auf Mitarbeiter zielen. Der Ex-Aldi-Manager Andreas Straub berichtet: »Man hat in einer Filiale, in der es Probleme bei der Inventur gab, versteckte Mini-Kameras über den Kassen und im Büro installiert, um lückenlos alles zu überwachen. Ein Detektiv wurde beauftragt, die Anlage heimlich zu installieren und die Filme auszuwerten.« [88]
In anderen Fällen fürchtete Aldi Süd, dass Mitarbeiter beim Ausladen von Waren den eigenen Kofferraum mit dem Lager verwechseln könnten. [89] Deshalb wurden Kameras in Brandmeldern bei den Laderampen versteckt. Doch als der Skandal aufflog, gab sich Aldi unschuldig: Mitarbeiter und Lieferanten hätten von der Überwachung gewusst (denn sonst wäre sie illegal gewesen, da kein konkreter Verdacht vorgelegen hatte!).
Auf die naheliegende Frage, warum die Kameras dann sorgfältig versteckt worden waren, wusste die Firma keine Antwort. Damit war alles gesagt!
Im Januar 2013 bekamen die Firmen-Spione unverhoffte Schützenhilfe: Die schwarz-gelbe Koalition legte einen Gesetzesentwurf vor, der wie ein Attentat auf die Rechte der Arbeitnehmer wirkte. Die Hürden für eine öffentliche Kameraüberwachung
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