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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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eines Tages von mir erwartet wurde, dass wir gemeinsam Pisse tranken, wie Wein beim Letzten Abendmahl. Aber ich musste bleiben. In diesen ersten Wochen fühlte ich mich wie Dante auf seinem mühsamen Weg durch die Tiefen der Hölle, war auf der Suche nach einem Aufzug ins Fegefeuer und sehr unsicher, ob ich ihn je finden würde. Aber wenn doch, dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich von Lou und meiner Schuld freigestrampelt hätte, dann wäre ich eines Tages frei von Angst und Selbsthass und würde die Reise ins Paradies antreten, in seliger Betrachtung der Zukunft.

26. Februar
    Gott, ist das heiß hier. Mein ganzer Körper kribbelt und ist von winzigen roten Knubbeln übersät, als hätten sich Ameisenkolonien nachts Gänge unter meine Haut gegraben. Wenn ich länger als ein paar Sekunden der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt bin, bekomme ich Panik. Ich stamme aus einem Land, in dem die Sonne neun Monate im Jahr in einen Luftschutzbunker gesperrt wird. Meine Haut ist schneeweiß. Manchmal will ich in den Schatten rennen und merke da erst, dass es hier keinen Schatten gibt ! Nur dieses Feuer auf meiner Haut, unter meiner Haut, überall, brodelnder Schweiß und Sonnenmilch, die mir in die Augen und den Mund läuft und sich in meinem Sport-BH sammelt.
    Lou hat heute Milton zitiert: »Der Geist hat seinen eigenen Raum und kann in sich die Hölle zum Himmel und den Himmel zur Hölle machen.« Künstler, sagte er, haben schon immer erkannt, wie wirksam sich der Geist die Realität zurechtbiegen kann. »Wenn sie über genügend Geisteskräfte verfügen, um das zu verstehen«, fügte er hinzu und starrte mich dabei an. Ich schwör’s. Und ich dachte: Ich bin in der Hölle . Vielleicht hat sich Milton auf einem Yoga-Retreat rumgetrieben?

    Eine Frage lässt mir keine Ruhe: Ist Indra mutig, weil sie ihr Pipi trinkt, oder ist sie verrückt? Warum sollte eine so disziplinierte, kluge und freundliche Frau etwas so Widerliches tun? Ich entdecke keine anderen Anzeichen von Verrücktheit. Außer diesem einen, aber das schreit mir ins Gesicht.
    Sie hat heute über das Selbst gesprochen – dass wir alle Teil des einen umfassenden Selbst sind – und gesagt, dass unsere Fähigkeit, mit anderen Mitgefühl zu empfinden, der Beweis ist, dass wir alle miteinander verbunden sind. Sie sagte das mit so viel Überzeugungskraft, dass ich fast losheulte, als es ans Meditieren ging, weil ich diese wahnsinnig tolle Phantasie hatte, wie ich bei der Behindertenolympiade lauter Kinder in die Arme schließe und mir alle Leute sagen, wie mitfühlend ich bin.
    Wenn zu Hause jemand wüsste, dass ich nach dem Kurs herumtrödele, weil ich hoffe, dass Indra zu meiner Matte kommt und mit mir redet, würde der die Augenbrauen hochziehen und Du bist nicht wiederzuerkennen sagen. Und ich würde antworten: Ja, Scheiße, ich kenne mich auch nicht mehr .
    Vielleicht bin ich ja hier die Verrückte.

27. Februar
    Wir haben seit drei Tagen Unterricht, und ich habe herausgefunden, dass man auf einem Yoga-Camp nur eines machen kann: Yoga. Wenn wir essen, tun wir das in Achtsamkeit. Wenn wir herumlaufen, tun wir das als schweigende Meditation.
    Selbst in der Innenstadt von Ubud, wo Chauffeure an den Straßenrändern stehen, die jedem vorübergehenden Touristen »Transport? Transport?« zurufen, sogar da schreiten meine Mit-Yogis gelassen dahin, auf den Lippen ein Mona-Lisa-Lächeln. Wir sprechen kaum über etwas anderes als über unsere inneren Prozesse und unsere Fortschritte und unser spirituelles, psychisches und physisches Wohlbefinden und dass die Balinesen den Schlüssel dazu in Händen halten. Lou sagte, wir sollten versuchen, wie die Balinesen zu sein. »Sie sind von einer so kindlichen Unschuld«, erklärte er, und ich krümmte mich innerlich. Im Studium hatte man uns vor allem eines beigebracht – niemand ist von kindlicher Unschuld, ausgenommen vielleicht Alexis Sorbas und ein paar echte Kinder.
    Wellness ist meinen Mit-Yogis ganz wichtig. Wenn Wellness eine Person wäre, wäre sie der Michael Jackson von ungefähr 1984, und meine Mit-Yogis würden wie kreischende, schluchzende Fans auf und ab hüpfen, damit sie in seiner Nähe sein können. Ungefähr so, wie ich mich momentan aufführen würde, um eine Tasse Kaffee und ein Päckchen Zigaretten zu ergattern.
    Alles muss der Wellness dienen. Was wir essen, trinken, auf die Haut schmieren. Jessica klagte heute früh über aufgesprungene Lippen, und als ich ihr meinen Fettstift anbot,

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