Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
auf Senden .
Mit einem flauen Gefühl im Magen lege ich meiner Chefin am Montag die Klemmbretter und Namensschilder auf den Tisch und lächele sie unverdächtig an.
»Toll, dass ihr so viele Nummern gesammelt habt«, sagt sie und löst die Bögen aus den Metallklammern. »Ein paar weniger wären auch nicht schlimm gewesen, aber umso besser!« Als sie meinen starren Blick bemerkt, schaut sie mich mit großen Augen an. »Was denn?«
»Nichts.«
Ich. Flipp. Gleich. Aus.
»Hauptsache, ihr habt die Fans während des Spiels nicht gestört, wenn da nämlich ’ne Beschwerde kommt …« Sie zieht die Unterlippe nach unten und schüttelt eine Hand. »Da ist der Kunde richtig zickig!«
Als ich das Büro verlasse, weiß ich nicht, über wen ich mich mehr ärgern soll – hab ich nicht richtig zugehört? Hat sie nicht gesagt: Fünfhundert Nummern, vermassel es nicht? Was, verdammt noch mal, habe ich daran missverstanden?!
Der Rest des Arbeitstages vergeht, und in der laufenden Woche wird die telefonische Befragung ohne Probleme durchgeführt. Bis Freitag habe ich die ganze Aktion schon fast erfolgreich verdrängt, doch plötzlich, zwei Stunden vorm Wochenende, steht Karin vor meinem Tisch. »Kommst du bitte mal in mein Büro?« Sie reibt sich nachdenklich am Kinn. »Ich glaube, wir müssen uns unterhalten.«
Tja. Manchmal verliert man eben, und manchmal gewinnen die anderen.
16
KÖNNEN DIESE BUSSE LÜGEN ?
B evor sich ein Philosoph auf die Suche nach Antworten macht, muss er wohl die richtigen Fragen stellen. Michael Schmidt-Salomon, dem ich am Telefon gerade mein Leid geklagt habe, scheint das zu wissen.
»Ja, und jetzt? Wie soll’s jetzt weitergehen?«
»Keine Ahnung«, gebe ich zu und schüttele langsam den Kopf. »Ich war ja noch in der Probezeit. Nach diesem prompten Rausschmiss muss ich erstmal durchatmen …«
»Mach das – aber nicht zu lange«, sagt er. »Ich muss nämlich in wenigen Tagen mein nächstes Manuskript einreichen und bräuchte deine Hilfe.«
Was? Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, für die ich am allerliebsten arbeiten würde, bittet mich – den gescheiterten Aushilfslehrer und frisch gefeuerten Callboy – um Unterstützung?
»Sitzt du am Rechner?«, fragt er weiter. »Dann schau mal in deine Mails, ich hab dir was weitergeleitet.«
Sehr geehrter Herr Dr. Schmidt-Salomon,
… bla, bla, bla … möchten wir Sie herzlich einladen … bla, bla, bla …, als Gast in unserer Talkshow mitzuwirken.
Herzliche Grüße,
das Redaktionsteam von »Disput Berlin«
»Würdest du mich da vertreten?«
Ich schlucke. »Ich, äh, also … bin mir nicht ganz sicher …«
»Ich würde dich da einfach mal vorschlagen«, unterbricht er meinen aufkeimenden Zweifel. »Dann schauen wir mal, was die sagen. Okay?«
»Aber, ähm, Michael …« Ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll. »Meinst du nicht, das ist ’ne Nummer zu groß für mich?«
»Hör mal, du warst doch als Pressesprecher der Buskampagne ganz erfolgreich. Und der Vortrag in der Studentenverbindung lief doch auch reibungslos, oder? Lehn dich doch einfach mal zurück, und denk daran, wie das gelaufen ist! Ich melde mich dann wieder …«
Verblüfft beende ich das Gespräch und befolge nachdenklich Michaels Ratschlag. Mit einem Kaffee mache ich es mir auf dem sonnigen Balkon bequem, lege die Füße hoch und lasse meine bisherigen Auftritte als gottloser Aktivist noch einmal Revue passieren. Doch wo fing meine Karriere als Ketzer eigentlich an? Mal sehen, was mein mentales Logbuch zu berichten weiß …
1980, 18. August, 05:32 Uhr MEZ . Ich erblicke das Licht der Welt. Habe Hunger. Und meine Mama lieb.
1981, 7. März. Inzwischen habe ich auch meinen Papa lieb. Brülle aus voller Kehle, als die beiden mich in die Arme eines fremden Mannes geben. Der tröpfelt mir kaltes Wasser auf die Stirn und murmelt etwas vor sich hin. Von allmächtigen Geisterwesen habe ich noch keine Ahnung, bin nun aber trotzdem Protestant.
1986, 6. Dezember. Ein dicker Nikolaus betritt unser Wohnzimmer mit einem braunen Sack über der Schulter. Meine Schwester und ich verstecken uns zuerst hinter den Beinen unseres Vaters, doch meine Neugierde siegt. Kommt der wirklich jedes Jahr auf einem fliegenden Schlitten zu uns? Und hat er uns vielleicht etwas Leckeres mitgebracht? Als er den Sack von der Schulter nimmt, lugt eine goldene Uhr unter seinem Ärmel hervor. Moment mal: So eine hat Onkel Günther doch auch! Ich tue so, als ließe ich mich
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