Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
mehr Glück den Ausgleich bedeutet hätte. Die Euphorie der Fans steckt mich an, und so verstehe ich langsam, warum Menschen zu Abertausenden in diese tempelartigen Stadien pilgern und dem runden Gott huldigen, der von den zweimal elf Aposteln über den Platz getreten wird. Schließlich bin ich als Kind selbst wie ein Verrückter über den Rasen gerannt, und bevor Winne auftauchte, hat mir der Verein viel gegeben. Auch erinnere ich mich an meine Zeit als Lehrer und an einige Kids, die am Nachmittag einen Mannschaftssport betrieben. Nicht selten fielen sie durch einen ausgeprägten Teamgeist auf, zeigten sich oft fairer als andere, wirkten ausgeglichener und konnten deutlich besser mit Misserfolgen umgehen.
Vor allem in Bezug auf die letzte Tugend frage ich mich des Öfteren, ob ich mir damals vielleicht doch einen neuen Verein hätte suchen sollen …
2:2, meine Damen und Herren – der Ausgleich ist da! Jubelnd springe ich auf, doch was macht Nina da? Warum hat sie einen Stift in der Hand – und warum beugt sie sich über das Blatt und füllt die leeren Kästchen aus?!
»Ich sammle Nummern«, erklärt sie mir und setzt das Verb mit den Fingern in Anführungsstriche. »Es sei denn, du hast einen besseren Plan, um mit fünfhundert nach Hause zu fahren …«
Ich fasse es nicht – Nina schummelt?
Mit hochgezogenen Augenbrauen zieht sie die Schultern hoch, als sie meinen Blick bemerkt. »Was denn? Kann doch sein, dass mich jemand mit ’ner falschen Nummer abwimmeln wollte!«
Wo sie recht hat, hat sie recht – aber soll ich wirklich meine neue Chefin bescheißen? Bewusst? Nein, das geht nicht! Dann gibt es also nur eine Lösung: Wir müssen während des Spiels Nummern sammeln. Das ist uns zwar vom Veranstalter ausdrücklich untersagt worden, aber wessen Zufriedenheit ist Karin wohl wichtiger: die des Stadionmanagements oder die des Auftraggebers? Kurz entschlossen ziehe ich mein Handy aus der Tasche und rufe die anderen Interviewerteams zusammen. Wie ein Footballteam scharen sie sich im Kreis um mich, während ich sie auf das Vorgehen einschwöre: »Wir müssen jetzt die Köpfe hochkrempeln. Und die Ärmel natürlich auch. Also: supernett und zurückhaltend! Kapiert? Uns fehlen noch 188 Nummern. Seid ihr dabei?«
Alle nicken, wenn auch nicht gerade überschwänglich, also geht es los. In der Tat finden es die wenigsten Fans witzig, dass sie bei ihrem heiligen Ritual gestört werden, aber fünf Minuten vor Spielende habe ich immerhin dreizehn weitere Erfolge erzielen können. Wenn die anderen etwas besser waren, sollte es reichen …
Bei einem Endergebnis von 2:3, der mir inzwischen wieder mit Karacho am Allerwertesten vorbeigeht, trotten die Massen mies gelaunt aus dem Stadion. Chancen auf weitere Nummern habe ich jetzt wohl kaum, denn die allermeisten der Fans ignorieren mich und meine dusselige Frage, einer schlägt mir mein Klemmbrett aus der Hand, und ein anderer schießt den Vogel für heute endgültig ab: »Lass misch in Ruhe«, pöbelt er mich an, »sonst piss ick dir uff dein Zettel!«
Mit hängenden Schultern treffe ich schließlich am verabredeten Treffpunkt ein und warte auf die anderen. Jetzt wird es spannend. Um ja keinen Fehler zu machen, verlasse ich mich nicht auf meine Kopfrechnung, sondern tippe alle Zahlen ins Handy ein. Als das endgültige Ergebnis angezeigt wird, spüre ich ein stechendes Gefühl in der Magengegend.
462. Verdammt.
»Und jetzt?« Die Abiturientin schaut mich mit großen Augen an. »Kriegen wir jetzt Stress?«
»Ihr nicht, aber ich …« Dann versagt mir die Stimme. Vermassel es nicht , klingt mir die Stimme meiner Chefin im Ohr.
»Okay, tschau dann, schönes Wochenende!«, sagt die Abiturientin, winkt einmal in die Runde und hüpft davon. Die anderen Interviewer wünschen mir viel Glück und verabschieden sich ebenfalls. Nur Nina bleibt solidarisch neben mir stehen.
»Oh shit, ey!«, ärgere ich mich und zünde mir eine Stresszigarette an. »Hätten wir mal früher …«
»Hätte, hätte, Fahrradkette!«, sagt sie und hält mir einen Stift hin. »Wir haben jetzt wirklich alles probiert. Also: du fünfzehn, ich fünfzehn? Genau fünfhundert wären verdächtig.«
»Ich weiß nicht …«
»Is’ dein Job«, meint sie und zuckt mit einer Schulter. »Überleg’s dir.«
Auf der Heimfahrt schreibe ich Karin wie verabredet eine kurze SMS : Haben 503 Nummern, war alles in Ordnung, bis Montag! P.
Bevor ich sie abschicke, zögere ich, drücke dann aber kurz entschlossen
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