Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Gleichgesinnten, nach Menschen, die keine Lust mehr darauf haben, das Gehalt selbst ernannter Gottesvertreter mitzubezahlen, die uns Atheisten mit inquisitorischem Ernst als moralisch minderwertig bezeichnen. Und Schwule diskriminieren. Und Frauen. Und Moslems. Und Juden. Und sowieso alle, die sich ihrem Club nicht anschließen.
2008, 10. Oktober. In einer Kreuzberger Werbeagentur werde ich fündig: Der Inhaber des Ladens, Peder Iblher, sowie der Politologe aus dem YouTube-Video und vier weitere Aktivisten wollen eine Kampagne umsetzen, die in England geboren wurde. Dort propagierten Religiöse nämlich auf zahlreichen Großplakaten, dass alle Ungläubigen einmal in der Hölle schmoren werden. Eine junge Journalistin ärgerte sich darüber nicht lange, sondern sammelte Geld für eine Botschaft, die mir viel besser gefällt: Es gibt wahrscheinlich keinen Gott, also sorge dich nicht und genieße dein Leben.
Die Bilder von Londons Doppeldeckern, die mit dieser Botschaft durch die Stadt fuhren, gingen um die Welt. Sie regten bereits italienische, spanische, kanadische und US -amerikanische Freidenker zum Nachmachen an. Ob so etwas in Deutschland auch möglich ist? Um das herauszufinden, klinke ich mich bei dem Atheistengrüppchen ein und werde vom Politologen schon bald als Pressesprecher vorgeschlagen. Weil ich so gern rede, sagt er grinsend.
2008, 3. November. Da wir den Menschen kein ewiges Leben im Paradies verkaufen können, erweist sich der professionelle Atheismus schnell als brotlose Kunst – ein richtiger Job muss also her. Ich heuere an einer Grundschule an und unterstütze dort vorerst den Schulleiter.
2009, 11. März. Die Planung der Kampagne ist in wöchentlichen Treffen gut vorangekommen: Slogans wurden entworfen, Werbeflächen auf Bussen und Bahnen gebucht, die Presse ist informiert. Nachdem wir im Internet die ersten Spenden gesammelt haben, wird Spiegel Online auf uns aufmerksam. Werbung für ein Leben ohne Gott, schreiben sie auf der Startseite. Eine Stunde später bricht der Server unserer Homepage zusammen, in den folgenden Tagen werden mehr als 20 000 Euro für die Aktion gespendet. Mein Pressehandy läuft heiß, ich gebe plötzlich Interviews. Roger Willemsen ruft an, fragt nach unseren Zielen: Gläubige zum Atheismus bekehren? Nein: anderen Atheisten zeigen, dass sie nicht allein sind; als explizit Religionsfreie in der Öffentlichkeit präsent werden; die Freiheit vom Glauben aus der Schmuddelecke holen, sie als das darstellen, was sie ist: intellektuelle Redlichkeit, Geschichtsbewusstsein und Respekt gegenüber Frauen, Homosexuellen, unverheirateten Paaren, Geschiedenen und allen anderen, die unter religiöser Diskriminierung leiden.
Auch an anderer Front tut sich etwas: Mein Schulleiter bietet mir einen Job als Mathelehrer an. Ich als Lehrer? Wieso eigentlich nicht …
2009, 18. März. Die taz titelt: Berliner Verkehrsbetriebe glauben noch an Gott. Sie sind die Ersten, die unsere Werbeverträge platzen lassen. Der Grund: Man wolle weltanschaulich neutral bleiben. Werbung für Jesus, die Bibel, diverse Sekten oder Berlins größtes Bordell? Kein Problem! Aber » Es gibt keinen Gott «? Nein, damit könnte man Gläubige beleidigen. Sämtliche angefragten Städte ziehen urplötzlich nach: Bremen, Dortmund, Dresden, Essen, Frankfurt, Fulda, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, München, Münster, Nürnberg, Potsdam, Regensburg und Stuttgart. Unsere Kampagne wird zum Politikum. Liegt hier eine Ungleichbehandlung von Religion und anderen Weltanschauungen vor? Ist das Recht auf freie Meinungsäußerung damit eingeschränkt? Warum ist die Aktion in katholisch-konservativen Ländern wie Italien oder Spanien möglich, nicht aber hier? Sind wir wirklich so aufgeklärt, so liberal und fortschrittlich, wie wir dachten?
Mit jedem Pressebeitrag füllt sich unser Spendenkonto. Bei knapp 40 000 Euro treffen wir eine Entscheidung: Wenn wir unsere frohe Botschaft nicht auf Linienbusse des öffentlichen Nahverkehrs kleben dürfen, dann mieten wir halt einen eigenen Bus. Die Presse jubelt: Atheisten gehen auf Deutschlandtournee!
Sarah freut sich, dass ich meine Passion endlich ausleben kann, meine Mutter hat wie immer Angst um mich, einige meiner Freunde wundern sich. »Ist das nicht ’n bisschen freaky, mit so ’nem Bus durchs Land zu gurken?«, will Nuray lächelnd wissen.
»Nicht so freaky wie eine Jesuslobby, die tausendachthundert Jahre lang im Namen der Liebe gefoltert und getötet hat und sich
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