Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
Vom Netzwerk:
von der Schokolade ablenken, strecke Onkel Günther aber heimlich die Zunge raus.

    1988, Spätsommer. Mit Anzug, Fliege und einer riesigen Kerze in der Hand posiere ich für den Fotografen. Mein Opa schenkt mir ein Mikroskop, meine Eltern ein Knax-Konto. Ein Blick in das Sparbuch verrät: Der katholische Kommunionsunterricht hat sich gelohnt. Dass ich zuvor evangelisch getauft wurde, interessiert hier niemanden.

    1991, 7. September. Stolz wie Oskar lege ich der Lehrerin meine Abmeldung vom Religionsunterricht vor und erläutere frech, als Fünftklässler einfach zu alt für derlei Märchen zu sein. Zum Glück ist Religion in Berlin kein Pflichtfach. Fühle mich saucool und sehr erwachsen.

    1996, ein Nachmittag im Herbst. Im Fernsehen höre ich Bart Simpson ein Tischgebet sprechen: »Lieber Gott, wir danken dir für gar nichts, wir haben alles selbst bezahlt.« Papa und ich lachen, darüber hinaus interessiert mich Religion aber nicht die Bohne. Kirche ist für mich der humorlose Ort, an dem mein Vater wunderschöne Musik auf der Orgel spielt, dabei aber immer wieder von einem Mann unterbrochen wird, der keinen Sex haben darf. Arme Sau, denke ich mir und radle mit pochenden Lenden zu meiner Freundin.

    1997. System Error 404: Keine Einträge gefunden. Diagnose: Festplattendefekt. Sie haben die zulässige THC -Dosis überschritten.

    2006, Wintersemester. Mein Soziologieprofessor überreicht mir die Prüfungslektüre: Steven Pinker, Das unbeschriebene Blatt. Fasziniert verschlinge ich in der Bibliothek Seite um Seite des dicken Wälzers über die Natur des Menschen. Ein 713 Seiten langer Widerspruch zu allem, was Religion je über den Menschen fantasiert hat. Wenig später fällt mir eine ältere Ausgabe der Zeitschrift Gehirn und Geist in die Hand. »Angriff auf den Glauben« lautet der Titel, im Untertitel steht: »wie Hirnforscher die Religion herausfordern«. Der Philosoph Daniel Dennett wird darin zitiert: »Unwissenheit ist keine Schande«, sagt er. »Anderen Leuten die eigene Unwissenheit aufzudrängen ist eine Schande.« In einem einzigen Semester ist mein trotziges Desinteresse am organisierten Aberglauben beendet.

    2008, 30. September. Ich reiche meine studentische Abschlussarbeit ein und warte auf die Benotung, bin gedanklich jedoch woanders. Mit jedem religionskritischen Buch, das ich in den letzten zwei Jahren gelesen habe, ist meine Faszination für die grenzenlose Absurdität des Glaubens gewachsen: sein Leben nach einem Wesen ausrichten, dessen Existenz so wahrscheinlich ist wie die der Zahnfee? An ein Leben nach dem Tod glauben, obwohl das ja schon begrifflich ein absoluter Widerspruch in sich ist? Superfreaky, aber jedem selbst überlassen. Schließlich ist Religion reine Privatsache. Oder nicht? Auf YouTube entdecke ich ein Interview mit einem Mann namens Carsten Frerk. Der Politologe nennt die unfassbare Summe von 19,2 Milliarden Euro, die unser Staat jährlich in die Kirchen buttert. Neben der Kirchensteuer. Für kircheninterne Zwecke – nicht für soziale Aufgaben. Ich kriege den Mund nicht mehr zu, spiele das Video direkt noch einmal ab. Lese dann Frerks Texte über weitere Privilegien der Jesus AG : feste Plätze in Rundfunkräten, öffentlich finanzierte religiöse Unterweisung in staatlichen Kindergärten und Schulen, massive steuerliche Vergünstigungen, Einzug des Mitgliedsbeitrags durch den Staat, arbeitsrechtliche Sonderregelungen, legale Ruhestörungen durch Glockengebimmel, Ausbildung des klerikalen Nachwuchses an theologischen Fakultäten, Polizei-, Militär- und Anstaltsseelsorge – alles unter der Kanzlerschaft einer Pfarrerstochter, deren Regierungspartei sich über das Christentum definiert.
    Schlagartig wird mir klar, dass ich in einer Kirchenrepublik lebe. Die Bild-Zeitung hatte mit dem Titelblatt zur Ernennung eines Deutschen als Oberhirte der Katholiken im April 2005 wohl doch recht: Wir sind Papst, aber volle Pulle!
    Halbherzig bewerbe ich mich um zwei Stellen in der Erwachsenenbildung, will aber eigentlich etwas anderes tun: mich am unvollendeten Projekt der Aufklärung beteiligen, wie es Dr. Schmidt-Salomon formuliert. Er ist Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, einer jungen Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung. Saucool!
    »Werte brauchen Gott«, behauptet die Evangelische Kirche hingegen dreist auf großen Werbeplakaten. Gar nicht cool. Weil ich Sarah, meine Familie und Freunde schon lang genug mit meinem Faible genervt habe, suche ich nach

Weitere Kostenlose Bücher