Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
heute als Erfinder der Menschenrechte hinstellt.«
»Na ja, ich bin ja eh Muslima«, sagt sie vorsichtig, »also – so ’n bisschen zumindest …«
2009, 15. Mai. Die Ereignisse überschlagen sich, ich fühle mich wie in einem Film. Nach zahlreichen Telefoninterviews und kleineren Drehterminen für Berichte auf Privatsendern steht meine mediale Feuertaufe an: Ich trete in Deutschlands ältester Talkshow, dem Nachtcafé, auf. Ich fliege nach Stuttgart. Meine Oberlippe zittert vor Aufregung, als ich vor der Sendung beim gemeinsamen Fototermin entspannt lächeln soll. Dann muss ich in den Ring. Gegen einen rhetorisch geschliffenen katholischen Weihbischof, einen Piusbruder und eine evangelische Weichspülchristin. Mit mir treten an: ein junger Mann, der als Kind jahrelang von seinem Pfarrer missbraucht wurde, der Sprecher des Schwulen- und Lesbenverbands Deutschland und eine Erzieherin, die trotz ihrer tadellosen Arbeit aus einem christlichen Kindergarten geflogen ist – weil sie zum zweiten Mal geheiratet hat.
Während der Diskussion lasse ich mich das ein oder andere Mal von der Protestantin aufs Glatteis führen oder vom Bischof zurechtweisen. Ansonsten läuft es eigentlich ganz gut. Der Piusbruder streitet sich mit dem anderen Katholiken, die Protestantin hat kein einziges Argument, ist dafür aber verflucht freundlich; der schwule Aktivist vertritt die gleiche Position wie ich – nur professioneller; in echte Schwulitäten kommen die beiden Kuttenträger jedoch erst, als das Missbrauchsopfer seine Geschichte auspackt. Plötzlich erinnern sie sich wieder an ihre Gemeinsamkeiten. Zum Abschluss zitiert der Moderator den berühmten Albert Schweitzer: »Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich – man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht!« Beim anschließenden Essen mit allen Gästen erzählt er noch einen Witz: »Sitzen zwei katholische Pfarrer auf der Parkbank und unterhalten sich. Sagt der eine: ›Meinst du, wir erleben die Abschaffung des Zölibats noch?‹ Daraufhin der andere: ›Wir nicht – aber vielleicht unsere Kinder!‹«
Der Piusbruder lacht am lautesten, vertieft sich dann aber wieder ins Zwiegespräch mit dem Missbrauchsopfer. Weil die massive Anspannung, die der Abend mit sich gebracht hat, nun endlich nachlässt, genieße ich ein paar Gläser des guten Weins. Nach und nach verabschieden sich die Gäste, dann bin ich mit dem Missbrauchsopfer allein. Wir lassen uns noch eine Flasche kommen und tauschen uns lange über das Gefühl aus, zum ersten Mal im Fernsehen aufzutreten.
»Was wollte denn der Piusbruder eigentlich vorhin von dir?«, fällt mir ein.
»Der hat gesagt, ich solle mich schämen, mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.«
2009, 30. Mai. Tourneestart. Gemeinsam mit meinen sechs gottlosen Freunden stehe ich an einer Bushaltestelle in Berlin-Mitte, dann taucht er am Horizont auf: der rote Riese. Mit einer Länge von elf und einer Höhe von vier Metern bietet dieser Cabriodoppeldecker Platz für über achtzig Passagiere. Wenig später treffen wir zum Fototermin vor dem Roten Rathaus ein und verschenken Gottlos-glücklich-T-Shirts an die Besucher unserer Aktion. Dann die große Überraschung: Die deutsche Filiale einer US -amerikanischen Freikirche ist mit einem Reisebus am Start, den sie genau hinter unseren stellen.
»Und wenn es ihn doch gibt?«, fragen auf dem Bus die Männer und Frauen, die sich selbst als Jesusfreaks bezeichnen. In Birkenstocksandalen werfen sie uns vor, wir würden schließlich auch etwas glauben – eben das Gegenteil dessen, was sie glauben.
»Wir glauben nicht, dass es keinen Gott gibt«, sage ich zum verwunderten Pressesprecher der Gottesanbeter. Die Kameras sind auf uns gerichtet. »Wir sind nämlich keine gläubigen Menschen. Wir glauben weder, dass es keinen Gott gibt, noch dass es einen gibt: weder den der Bibel noch die der griechischen oder nordischen Mythologie noch sonst irgendwo.«
»Also können Sie die Existenz Gottes auch nicht ganz ausschließen?« Der Pressesprecher lächelt mich siegessicher an.
»Nein, streng genommen bin ich Agnostiker. Ich weiß es tatsächlich nicht. Aber im Gegensatz zu Ihnen gestehe ich mir das ein. Sehen Sie, wir sagen ja nicht: Es gibt keinen Gott. Wir sagen: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gibt es ihn nicht! Wir meinen, dass die Existenz der christlichen Gottesversion genauso wahrscheinlich ist wie die aller anderen Götter. Oder
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