Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Arbeitswoche als Lehrer bin ich wieder am Start. In Düsseldorf stellen wir den Bus in der Innenstadt ab und erhalten ein Geschenk vom erfolgreichsten Karnevalswagenbauer der Stadt: Jacques Tilly hat aus Pappmaschee ein mannshohes Haltestellenschild in Form einer Sonnenblume gebaut. Sie trägt die Aufschrift Gottlos glücklich und avanciert bald zum Wahrzeichen unserer Aktion.
Auf dem Weg nach Köln ist mal wieder der weiße Bus der Jesusfreaks hartnäckig hinter uns. Wir kleben daraufhin ein Schild in die Rückscheibe: Achtung, Christenverfolgung! Unser Aufenthalt am Samstag in Köln ist verregnet, allerdings besucht uns der Sprecher der Generation Benedikt , eines Fanclubs des Papstes. Entgegen meiner Vermutung ist der Mann jünger als ich, seine Argumente dagegen befinden sich auf dem Stand des Alten Testaments.
Dann zieht mich eine Frau zur Seite und spricht leise, flüstert fast. »Danke, datt Sie dat machen!«, raunt sie. »Isch hab immer jedacht, isch wär damit allein …«
»Ehrlich?« Ich schüttele den Kopf. »In Berlin kenn ich kaum noch gläubige Leute.«
»Isch wohn im köllschen Umland – da ticken die Uhren noch anders. Dat könnse mir aber glauben!«
Am Sonntag kommt es in Bonn zur ersten pikanten Szene: Ein paar Jugendliche spielen sich auf, werden laut und meinen, wir würden ihren Propheten beleidigen. Weil ich ein Hasenfuß bin, verkrümele ich mich sofort in den Bus und schaue mir die Szene von oben an.
»Ja, ja: Über Jesus schimpfen, das traut ihr euch!«, wirft uns eine ältere Dame wenig später vor. »Aber auch nur, weil wir uns euren Mist gefallen lassen!«
»Wie sollten Christen denn Ihrer Meinung nach auf die Aktion reagieren?«, will ein Sympathisant unserer Kampagne von ihr wissen.
Sie überlegt kurz, schnauft und zieht kommentarlos davon.
Bevor ich am Ende eines langen Wochenendes wieder nach Berlin aufbreche, erzählt Carsten seine Lieblingsgeschichte aus Münster: Eine uralte Frau läuft langsam am Bus vorbei, bleibt stehen, legt den Kopf in den Nacken und liest die Aufschrift. Dann schaut sie ihn an und lacht. »Wird auch mal Zeit, dass Sie nach Münster kommen. In dieses schwarz-katholische Nest!«
2009, 11. Juni. Nach fünf knallharten Tagen als Aushilfslehrer steige ich in den Zug, um der Kampagne erneut hinterherzureisen, die inzwischen in Bayern unterwegs ist. Weil ich im Unterricht vor Wut ein Tafellineal auf dem Lehrerpult zerkloppt habe, nehme ich mir vor, so schnell wie möglich einen anderen Job zu finden. Doch jetzt warten erst einmal Augsburg, Passau und München auf uns. In der bajuwarischen Hauptstadt gibt es von allen Seiten freundliches Winken, Daumen hoch, lachende Gesichter. Bei einem Halt nahe des Viktualienmarkts verwickelt mich eine junge Frau in ein Gespräch über Sex vor der Ehe. »Ich hebe mich halt für den einen Mann auf, mit dem ich für immer zusammen sein will«, erklärt sie stolz.
»Ist doch schön«, entgegne ich, »aber meine Freundin und ich sehen das halt anders. Sollte das nicht jeder selbst …«
»Stört es dich denn nicht«, unterbricht sie mich mit großen Augen, »dass sie vor dir schon mit anderen Männern im Bett war?«
Noch während ich lachend den Kopf schüttele, drückt sie mir ein Faltblatt in die Hand, in dem der Gebrauch von Kondomen als Sünde und Schwangerschaftsabbruch als Mord bezeichnet wird.
Der letzte Tag der Tournee bricht in Regensburg an. Vor dem Einkaufszentrum, an dem unser Bus steht, hat sich eine christliche Jugendgruppe versammelt und singt unter der Gitarrenbegleitung des Pfarrers ein paar Gospelsongs. Teufelsaustreibung der netteren Art. Als wir gerade zur üblichen Stadtrundfahrt aufbrechen wollen, rennt eine der Sängerinnen panisch dem Bus hinterher und ruft laut meinen Namen. Ich bitte unseren Fahrer, auf sie zu warten, und stelle mich dann an die offene Tür.
»Ich muss … Ihnen etwas ganz … Wichtiges sagen«, bringt sie hechelnd hervor.
»Ja?«
»Ich schwöre … Es gibt ihn! Er ist mir heute Nacht begegnet – wirklich!«
Das ist natürlich ein Argument. Ob ich die Aktion lieber schnell abbreche, alles bisher Gesagte zurücknehme und das Gegenteil behaupte? Die Beichte macht schließlich so einiges möglich … Etwas wehmütig besteige ich an diesem Abend zum letzten Mal den ICE nach Hause, freue mich aber auf die Abschlussparty der Kampagne, die schon bald in Berlin steigen wird.
2009, 18. Juni. Der Bus fährt vor einem Saal vor, den wir für das feierliche Ende unserer Aktion
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