Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
ist einerseits leicht, andererseits schwer – aber warum? Wie lauteten doch gleich die sechzehn Punkte, mit denen ich die vier Minuten bestreiten wollte? Wie habe ich das Fazit formuliert? Mit zugekniffenen Augen massiere ich mir die Schläfen, quetsche mein Hirn aus, doch mit jeder Minute, die verstreicht, kommt weniger dabei heraus. Das Blackout ist da, Sarah muss her!
Stattdessen kommt ein langhaariger Mann in weißer Handwerkerkluft auf mich zu. In der Hand trägt er einen langen Stab, an dessen Ende aber leider nur ein Wischmopp baumelt. »Hey du, hilf mir bitte mal kurz mit …« Er zögert einen Moment. »Bist du überhaupt von der Technik?«
»Nee, Mann, ick nehm an der Diskussion teil!« Unter Stress kommt meist mein Dialekt durch.
»Oh, sorry«, sagt er und hebt seine freie Hand. »Ich dachte nur, wegen der Klamotten …«
Ja, ja, schon klar: Jeans, Turnschuhe und T-Shirt – so betritt doch kein Mensch eine Bühne! Wieder wähle ich Sarahs Nummer, erneut geht die Mailbox ran. Ein gutes Zeichen? Besser, ich rauche noch eine …
19:36 Uhr. Wir werden von der Regieelbe durch den Veranstaltungssaal geführt. Einige sakrale Elemente der ehemaligen Kirche sind noch auszumachen, aber die großen Scheinwerfer, die Kameras und mehrere Hundert Stühle lassen den Ort eher wie einen Theatersaal wirken. Viele Plätze sind schon besetzt, das bisherige Durchschnittsalter liegt jenseits der fünfzig. Deutlich. Eine christliche Kopftuchfraktion hat sich in den vorderen Reihen eingefunden: neun verschleierte Nonnen, deren stumme Blicke mich unter schwarzen Kapuzen verfolgen. Von Sarah nach wie vor keine Spur.
19:52 Uhr. Ich laufe wie ein Tiger im Käfig durch den Backstageraum. Dann kommt eine SMS : Sind unterwegs. Stadt ist übervoll! Gleich da.
Gloria von Thurn und Taxis, die für die dunkle Seite kämpfen wird, bietet mir einen Platz auf der Couch neben sich an und fragt mich über meinen alten Job als Lehrer aus. Ich weiß zwar nicht so recht, was ich von der erklärten Katholikin halten soll, aber sie ist die Einzige, die sich mit mir unterhält.
»Sehr anstrengend«, beantworte ich ihre Frage, wie es als Lehrer an Berliner Grundschulen denn so sei. »Auch erfüllend – aber sehr, sehr anstrengend!«
Die Wahl ihres Outfits beruhigt mich, denn neben einer neonpinkfarbenen Hose und einer Ansammlung von Perlenketten, die sie sich wie einen Schal um den Hals geschlungen hat, wird man meine Jeans und mein Zehn-Euro-Shirt von H&M wohl kaum beachten.
Vor dem Sofa stehen zwei altgediente Mitarbeiter des Spiegel-Magazins und sprechen laut über ihre letzten Fernreisen: der langjährige Chefredakteur Stefan Aust, der unseren heutigen Disput moderieren wird, und der ehemalige Leiter des Kulturteils, Matthias Matussek. Er wird den Katholizismus verteidigen.
Am Tisch gegenüber von uns sind zwei Männer in ein Gespräch über die Dreifaltigkeit vertieft. Einer von ihnen trägt einen noblen Anzug mit Krawatte und eine rahmenlose Brille. Es ist der ehemalige Oberhirte deutscher Protestanten, Wolfgang Huber. Auch der andere Geistliche ist in feinsten schwarzen Zwirn gehüllt, statt einer Krawatte trägt er jedoch den standesgemäßen weißen Stehkragen zum schwarzen Oberhemd. Seine runden Brillengläser sind in dicken schwarzen Kunststoff gefasst, sein Lächeln macht mir ein bisschen Angst. Er trägt den sonderbaren Namen Prälat Imkamp – was das bedeutet, ist mir jedoch nicht nur schleierhaft, sondern im Moment vor allem schnurzpiepegal. Ich brauche meine Rede, um Himmels willen!
19:58 Uhr. Der Schlachtbeginn rückt sekündlich näher. Die Elbenfrau von der Regie stellt uns in der richtigen Reihenfolge am Eingang zur Bühne auf: erst die Ketzer (ich als Letzter), dann die Frommen. Sarah soll jetzt kommen! Sonst muss ich meine Rede über weite Teile improvisieren. Im Saal sitzen nun mehr als dreihundert Gäste, die Kameras laufen, die Scheinwerfer sind auf die Bühne gerichtet.
»Und, sind Sie aufgeregt?« Alan Posener dreht sich freundlich lächelnd zu mir um.
»Kein bisschen«, lüge ich schamlos und wische mir die schweißnassen Hände an der Hose ab, »bin die Ruhe in Person.«
»Herr Möller?« Eine Regieassistentin steht vor mir, hinter ihr die hechelnde Sarah mit der müden Klara auf dem Arm. »Ist das Ihre Frau?«
Contenance, Möller, halt jetzt nicht deinen Handrücken an die Stirn und sacke wie ein blaublütiges Fräulein in dich zusammen! Ich grinse Sarah an. »Noch nicht ganz.«
Ungeachtet der
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