Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
anfühlt, werde dann aber von meiner zartgliedrigen Begleiterin an dem Bau vorbei zu einem Seiteneingang geführt. In einem kleinen Raum nimmt mich die Veranstalterin in Empfang und trommelt dann die anderen Diskussionsteilnehmer zusammen. Vier dieser Menschen werden für die Religion zu Felde ziehen, die anderen drei sind meine Gefährten. Im Kreise dieser gut gekleideten Damen und Herren erklärt die Veranstalterin den Ablauf des Abends.
» Ohne Religion wäre die Welt besser dran! Das ist die These, die Sie heute diskutieren werden. Zuerst haben Sie jeweils genau vier Minuten Zeit für Ihre abwechselnden Eröffnungsplädoyers, dann gibt es eine halbstündige Diskussionsrunde, und am Ende noch einmal hundert Sekunden Redezeit für jeden.«
Zu drei Zeitpunkten wird das Publikum über die provokante These abstimmen: vor Beginn des Disputs, nach vier der acht Kurzvorträge und im Anschluss an die offene Diskussion. Am Applaus des Publikums und an den Ergebnissen der Abstimmung wird sich zeigen, wer in der Schlacht um die besten Argumente überzeugen kann. Ob ich in diesem Ring bestehen werde?
»Am besten setzen Sie sich jetzt mit Ihren Streitpartnern zur Lagebesprechung zusammen, und um Punkt zwanzig Uhr beginnen wir dann mit der Aufzeichnung.«
Die Religionsbefürworter verschwinden in den Nachbarraum, meine drei Mitstreiter und ich lassen uns an einem Tisch nieder. Zwei von ihnen sind mir bekannt: die türkischstämmige Frauenrechtlerin Necla Kelek und der britisch-deutsche Journalist Alan Posener. Beide haben bereits mehrfach publiziert und sind hinreichend bekannt. Von der Dritten im Bunde, einer Juristin, habe ich noch nie gehört, und genauso scheint es den anderen mit meinem Namen zu gehen.
»Sie sind doch als Vertretung für Dr. Schmidt-Salomon hier«, fällt Frau Kelek plötzlich ein, »und waren damals in dieser Kampagne aktiv …«
Genau. Der bin ich.
Während unserer Zusammenkunft kommt es schon bald zu längeren Auseinandersetzungen über die feinen Unterschiede zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen. Anstatt einen Plan zu entwerfen, mit welchen Argumenten wir die Feinde in die Flucht schlagen können, verheddern sich meine Gefährten in unsinnigen Streitereien, die uns Zeit und Ressourcen kosten.
»Wollen wir nicht lieber unsere Strategie planen?«, werfe ich vorsichtig ein. »Dreißig Minuten Diskussion sind schnell vorbei, und die Gegner sind kampferprobt.«
Die anderen schauen mich kurz an, debattieren dann aber weiter um den Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken, Schiiten und Sunniten.
Gut, dass ich an meiner Eröffnungsrede so akribisch gefeilt habe! Stundenlang habe ich daran gesessen, das geistige Material der Mütter und Väter der Aufklärung in eine Form zu gießen, habe mir den Text immer wieder laut vorgelesen, mich dabei mit dem Handy aufgenommen, habe es mir danach angehört und den Vortrag ein ums andere Mal gekürzt – so lange, bis daraus eine vierminütige und messerscharfe Rede geworden ist. Die steht nun auf einer einzigen Karteikarte, die …
Moment mal …
Die Karteikarte.
Die ist in der linken Innentasche des Jacketts.
Und das Jackett?
Am Kleiderhaken. ZU HAUSE ! Im Auenland!
Mein Herz rutscht mir in die Socken, meine Gliedmaßen erstarren, Schweiß tritt mir auf die Stirn: Ich ziehe in die große Wortschlacht gegen die Gottesfreaks und vergesse meine Stichwaffe, äh, Stichpunkte zu Hause?! Nur mit viel Mühe kann ich mich davon abhalten, panisch zu kreischen. Stattdessen verabschiede ich mich zum Telefonieren nach draußen.
19:12 Uhr. »Na Süßer, biste aufge…«
»Bist du zu Hause?«, unterbreche ich Sarah. »Ganz wichtig: Bist du zu Hause?! «
»Ja. Wieso? Was ist denn?«
Ohne ein Wort der Erklärung schicke ich sie zur Garderobe.
»Ach du heilige Scheiße – das ist ja deine Rede!«
Weil ich den finsteren Endgegner wohl kaum ohne mein geschliffenes Rhetorikschwert besiegen kann, spielen wir schnell alle Möglichkeiten durch, die uns bleiben. Meine Arztschrift konnte Sarah noch nie gut lesen, und für moderne Lösungen wie abfotografieren und per Mail schicken ist ihr altmodisches Telefon nicht gerüstet.
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigt sie mich, »ich steige mit der Kleinen ins Auto und bring dir die Rede vorbei!«
19:20 Uhr. Ich sitze hinter der Kirche im Schatten eines Baumes. Rauche die zweite Zigarette und versuche, mich an den Text zu erinnern. Wie war das doch gleich? Gemischte Gefühle: Der Job des Religionskritikers
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