Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
gemietet haben. Nach einer kleinen Abschlussrede von Carsten, der den Großteil der Tour organisiert hat und mit seiner Frau kontinuierlich dabei war, begeben wir uns in den Saal. Dort führt eine Schauspielerin das Solo für den Teufel auf, ein mehr als dreißigminütiges Theaterstück, bei dem sie ganz allein einen Dialog zwischen einem naiven Mädchen und einem diabolischen Pfarrer nachstellt. Immer wieder reißt sie die geschminkten Augen weit auf, brüllt wie am Spieß und schmeißt sich zum Finale der Länge nach auf den Boden.
Danach tritt eine Dame auf, die eine Viertelstunde lang mit zwei Holzlöffeln wie wild geworden auf einem riesigen Xylofon spielt. Zum Abschluss des musikalischen Teils gibt ein junges Pärchen im Partnerlook die Hymne aller Atheisten zum Besten: John Lennons Imagine . Die Anwesenden singen mit, eine Frau wischt sich eine Träne von der Wange.
Als der Abend seinen Höhepunkt erreicht, bitten zwei meiner neuen Atheistenfreunde zur Enttaufung auf die Bühne. Ich soll als Erster ran und muss mich vor der Zeremonienmeisterin hinknien. Dann stellt sie mir mit tiefer Stimme eine Frage: »Erkennst du an, dass alles mit rechten Dingen zugeht und keine übernatürliche Kraft deine Waschmaschine manipuliert hat, um dir durch das Verschwinden deiner Socken ein göttliches Zeichen zu geben?«
»Ja!«
Mit einem Taschentuch wischt sie mir die Stirn ab und schüttelt es danach feierlich aus. Damit ist es offiziell: Ich bin kein Christ mehr – dafür aber aufgenommen in die Gemeinschaft der Atheistenfreaks.
Jetzt muss ich nur noch aus der Kirche austreten.
Das Festnetztelefon reißt mich aus meinem Flashback. Ich hetze vom Balkon ins Wohnzimmer.
»Also Philipp«, sagt der Philosoph feierlich, »die Redaktion von Disput Berlin hat sich deinen Auftritt im Nachtcafé angesehen und möchte dich in der Sendung haben. Wenn das gut läuft, können wir uns ja mal über deine Zukunft in der Giordano-Bruno-Stiftung unterhalten …«
17
DIE GROSSE SCHLACHT VON WORTEN
1 8:32 Uhr. Ich befinde mich in einem Wohnwagen, der mit großen Spiegeln, grellen Lampen und tonnenweise Kosmetik ausgestattet ist. Eine Frau mit einem mehrfarbigen Brillengestell auf der Nase und einer asymmetrischen Frisur mustert mich von oben bis unten.
»Wollen Sie sich vor oder nach dem Schminken umziehen?«
»Wieso denn umziehen?« Bisher habe ich mich in Jeans und T-Shirt eigentlich ganz wohl gefühlt, aber anscheinend bin ich für den großen Kampf noch nicht gerüstet. Nicht mal ein Jackett habe ich dabei, das – zumindest rein optisch – ein paar der Angriffe meiner Diskussionsgegner abhalten könnte. Wegen der subtropischen Temperaturen habe ich es kurzerhand zu Hause gelassen. »Fangen Sie ruhig an, ich hab sowieso nichts anderes dabei.«
Ich lasse mich auf dem Sessel nieder und schaue mich im hell erleuchteten Spiegel an. Während die Stylistin mein Gesicht mit Make-up bedeckt, bereite ich mich innerlich darauf vor, mich dem übermächtigen Gegner zu stellen: den selbst ernannten Vertretern des angeblich einen und einzigen, allmächtigen Gottes. Große Schlachten kenne ich zwar nur aus dem Herrn der Ringe , aber weil heute bloß mit Worten gekämpft wird, kann ich mich auch als Humanist guten Gewissens daran beteiligen.
Dessen ungeachtet tritt kalter Schweiß aus den Poren meiner Handflächen.
18:40 Uhr. In Begleitung einer wunderschönen elbengleichen Frau verlasse ich den Wohnwagen und schreite frontal auf den Austragungsort der Diskussion zu: eine uralte Kirche in Berlins Mitte, die wegen der gesunkenen Nachfrage für katholische Dienstleistungen aus dem himmlischen Betrieb genommen und zu einem Veranstaltungsort umfunktioniert wurde. Trotz des gleißenden Sonnenlichts wirft der massive Christentempel einen finsteren Schatten auf mich. Während das brünette Model von der Regie ununterbrochen in ihr Headset spricht, kommt mir der gotische Bau mit jedem Schritt ein bisschen größer vor. Wie ein finsterer Berg erhebt er sich vor mir, bedrohlich wie das lidlose Auge von Barad-dûr, dem dunklen Turm Saurons, schaut das Wahrzeichen des Herrn von seinem Gipfel auf mich herab. Eine steinerne Frau in langen Gewändern bewacht das gigantische Tor, Figuren weinender Kinder neben ihr, im Zentrum des Reliefs ein Mann, der eine Dornenkrone trägt und auf seinem gebeugten Rücken ein großes Kreuz schleppt.
Ich bleibe einen Moment zwischen den Besuchertrupps stehen und bekomme eine leise Ahnung davon, wie sich Ehrfurcht
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