Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
bitteren Wahrheit wohl ins Gesicht blicken: Das hat man eben davon, wenn man nicht weit genug vor der deutschen Heimat flieht!
Auf dem Rückweg zur Ferienwohnung besorgen wir Getränke, Grillwürste und Kartoffelsalat, und als es gegen achtzehn Uhr endlich etwas kühler wird, begeben wir uns in den Garten und schmeißen den Grill an.
»Des isch a guade Idee«, ruft Herby plötzlich aus seinem Fenster. »I komm au glei dazu …«
Der Tag geht, Hippie-Herby kommt. Immerhin trägt er noch seine selbst geschneiderten Hotpants, ansonsten scheint ihn Kleidung eher zu stören. Im Schneidersitz nimmt er fast nackig neben uns Platz, legt die Hände auf den Knien ab und schließt die Augen. In dieser Stellung verharrt er ein paar Minuten, in denen Sarah und ich uns mehrmals schulterzuckend anschauen. Dann überrascht er uns mit verschiedenen Dehnübungen und schließt seine Choreografie mit zehn Kniebeugen ab, bei denen er laut durch den Mund ein- und ausatmet.
»So«, sagt er danach und öffnet sich ein Bier, »erscht die Arbeit, dann des Vergnüge!« Mit einem Bier in der Hand nähert er sich mir und inspiziert meinen geröteten Arm. »Luagamal, du hascht aber an leichte Sonnenbrand, gell?«, sagt er und drückt ein paar Mal prüfend auf mir herum.
Das war ja klar: Obwohl ich alte Kalkleiste mich im Urlaub stets penibel eincreme und meist wie ein Vampir unterm Sonnenschirm verstecke, kann mich alle Welt schon nach einer einzigen Strandsession als frisch angereiste Kartoffel identifizieren.
»Wart amol, ich hab da oin subba Trick«, sagt Herby, steht auf und hüpft mit leichtem Schritt zu einer Pflanze, deren Blätter so spitz sind, dass ich sie am liebsten mit dem Eckenschutz aus der Family-Abteilung von IKEA abkleben würde. Hab ich’s doch gewusst, dass uns im Urlaub bloß Gefahren erwarten. So ein riskantes Gewächs würde zu Hause niemals durch den TÜV kommen – zu Recht!
Herby knickt einen der dunkelgrünen Zweige ab und kommt damit wieder zu uns zurück. »Des schmierschd jezz amal uff doi Arm und ins G’sicht, und in wenige Minude wirschd du schpüre, wie subba des wirge dud.«
Mit einem einzigen Blick bittet mich Sarah darum, nicht lauthals nach einem Dolmetscher zu rufen, stattdessen folge ich Herbys väterlichem Rat und reibe mich mit dem grünlichen Gel ein, dass der Hobbyheiler aus dem Pflanzenblatt drückt. Und tatsächlich: Schon beim Auftragen spüre ich eine angenehme Kühle, die von der Substanz ausgeht, und als ich am nächsten Morgen in den Spiegel blicke, sehe ich viel weniger deutsch aus, als befürchtet. Auch musste ich mir nachts keine kalte Badewanne einlassen, um meinen glühenden, juckenden und stechenden Körper darin abzukühlen. So wie in der Türkei. Oder in Italien. Oder auf Mallorca …
Die folgenden Tage ähneln einander wie die Kiesel am Strand unseres Urlaubsorts. Am frühen Morgen geht’s auf zum Strand, gute Plätze klarmachen, während der teilweise unerträglich heißen Mittagstunden ab in die Wohnung, um dort eine Kleinigkeit zu essen und gemeinsam mit Klara ein Nickerchen zu machen, und am Nachmittag wieder runter ans Wasser. Gegen fünf Uhr gehen wir dann meist einkaufen und verspeisen im Anschluss unser Abendbrot auf der Terrasse, wo wir einen spektakulären Ausblick auf den Sonnenuntergang und Herbys Dehnübungen genießen, bei denen ihm gelegentlich der ein oder andere Hoden aus der bodenlosen Hose baumelt.
Als der Urlaub sich langsam dem Ende neigt, entdecken wir auf dem Weg zur zweiten Strandschicht ein neues Fahrzeug auf dem Parkplatz im Hof der Villa Herby. Auf der Heckscheibe des gelben Familienbusses verraten zwei Aufkleber die Namen der Kinder, die wir aus dem offenen Fenster des Appartements neben uns bis in den Hof kreischen hören: Auf der linken Seite prangt in rosa Serifen Frikka-Carmen, rechts in Blau Rouwen-Fiete.
Über das Phänomen des sogenannten Chantalismus – auch Kevinismus genannt – bin ich ja als Lehrer schon gestolpert: Eltern strafen ihre Kinder mit pseudoexotischen Namen ab und brandmarken Jeremy, Ryan-Jason oder Jaqueline-Chayenne-Chantalle damit ein Leben lang als Mitglieder ihres Milieus. Wer allerdings glaubt, nur dieser abschätzig belächelte Teil unserer Gesellschaft sei zu derlei Auswüchsen bei der Namensgebung in der Lage, der ist mächtig auf dem Holzweg, denn auch akademisch geprägte Tageszeitungsabonnenten etikettieren ihren Nachwuchs anscheinend gern mit entsprechenden Labels. Selbstverständlich bedienen sie sich dabei
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