Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Computerarbeitsplätzen. Brummend schalten sich die Neonröhren an der Decke ein, dann bittet uns Thomas, in den vorderen Reihen Platz zu nehmen, und stellt sich neben einen Overheadprojektor. Neben mir pfeffert Nina ihre Tasche auf den Boden und lässt sich lustlos in den Stuhl fallen. Während Thomas uns über den Ablauf des Tages informiert, holt sie einen Block mit Sudoku-Rätseln heraus und macht sich an die konzentrierte Arbeit. Nach der ersten halben Stunde weiß ich, dass ich mit etwas Pech schon bald zu denjenigen gehören werde, die ich selbst am Telefon immer abgewimmelt habe, weil sie mich zu meiner Meinung über Politik, meinem Fernsehverhalten oder meinem Erfrischungsgetränkekonsum befragen wollten.
»Eigentlich ist es ganz einfach«, meint Thomas irgendwann und kratzt sich am Hinterkopf. »Befolgen Sie bei den Testinterviews immer alle Anweisungen auf dem Monitor – dann haben Sie den Job sicher.«
»Ab hier kannste auf Durchzug schalten«, flüstert mir Nina zu. »Nicht denken – vorlesen! Mit der Devise kannste hier ab morgen Geld verdienen. Wenig, aber immerhin steuerfrei.« Sie zwinkert mir zu und widmet sich wieder den Zahlenrätseln.
In den folgenden vier Stunden zeigt uns Thomas an den Computern die Befragung, die wir später mit den Menschen, die er konsequent als »Zielpersonen« bezeichnet, durchführen werden. Der Lehrstoff wird dabei so idiotensicher erklärt, dass ich währenddessen Zeit habe, mir über die rechtliche Situation des Jobs so meine Gedanken zu machen – denn offenbar bewegt sich das Beschäftigungsmodell des Imameifo irgendwo zwischen Scheinselbstständigkeit und Niedriglohnjob. In der Tat klärt uns Thomas wenig später darüber auf, dass wir hier pro Interview bezahlt werden und von dem Geld, das wir dann erhalten, selbstständig Steuern und Sozialabgaben abführen müssen.
Nach der Mittagspause werden wir in die Geheimnisse der computergestützten Telefonie eingewiesen, die im Wesentlichen darin bestehen, das Headset aufzusetzen, per Mausklick den Wählvorgang zu starten und in einem Menü auszuwählen, warum die Person am anderen Ende der Leitung nicht mit uns sprechen will. Daraus werde der Hauptteil meiner Arbeit bestehen, versichert mir Nina.
Wir werden zu Testanrufen verdonnert, in denen wir unsere Tauglichkeit für den Job unter Beweis stellen sollen. Sobald das Interview laufe, erklärt Thomas weiter, werde er das Gespräch mithören und uns im Anschluss Bescheid geben, ob wir alles richtig gemacht haben oder nicht.
Als es in meinem Kopfhörer zum ersten Mal tutet, konzentriere ich mich auf meine Aufgabe, einen wildfremden Menschen um seine Zeit anbetteln zu müssen.
»Guten Tag, Möller mein Name vom Institut für Markt- und Meinungs…«, beginne ich mein erstes Gespräch mit leicht zitternder Stimme, doch noch bevor ich weiterreden kann, klickt es am anderen Ende der Leitung. Während sich dieses Trauerspiel bei mir ein paar Mal wiederholt, liest Nina neben mir schon die ersten Fragen vor und schaut dazwischen aus dem Fenster. Fast blind tippt sie ein, ob die Zielperson mit der Nutzung ihres Internetanbieters vollkommen zufrieden, eher zufrieden, eher unzufrieden oder vollkommen unzufrieden ist und welchen der genannten Kandidaten der Angerufene wählen würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären. Ohne dabei gelangweilt zu klingen, stellt Nina Skalen von eins bis zehn vor: »Eins bedeutet, dass Sie keineswegs zufrieden sind, zehn bedeutet, dass Sie voll und ganz zufrieden sind.« Dabei hört man ihr das leicht bizarre Aussehen genauso wenig an wie den Umstand, dass sie nebenbei fleißig weiter Zahlen in ihren Rätselblock kritzelt. Ich dagegen spiele nun erstmalig mit dem Gedanken, mich nach den Ferien doch wieder als Aushilfspauker zu bewerben.
»Worum geht’s denn in Ihrem Interview?«, fragt plötzlich eine Frauenstimme aus meinem Kopfhörer.
»Äähhh, um Verschiedenes«, stammele ich und rufe hektisch die Liste der Befragungsthemen auf. »Politik, Getränkesorten, Internet …«
»Internet?« Meine Zielperson atmet nun schwer in den Hörer und erklärt mir dann aufgebracht, mein Anruf könne kein Zufall sein, schließlich stehe der Buchstabe W im hebräischen Alphabet für die Ziffer 6, sodass die Abkürzung des World Wide Web die Zahl des Teufels sei. »Das Internet ist das Bollwerk des Herrn der Lügen, junger Mann!«, brüllt die Frau in den Hörer, woraufhin ich Thomas vom Rand des Studios lachen höre. »Haben Sie denn schon
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