Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
das damals vom renommierten DJ MAG zum besten Club der Welt gekürt wurde, die schrägsten Vögel angetroffen. Unübertroffen blieb aber die Erzählung eines Kumpels, der dort eine komplett nackte Frau auf der Tanzfläche gesehen haben wollte.
Nach etwa einer Stunde in der Schlange vor dem Club, für die wir uns vorsorglich mit ein paar Wartebieren ausgestattet hatten, trete ich unruhig von einem Bein aufs andere, während die von Tattoos übersäte Kassenfrau in aller Seelenruhe mein Wechselgeld heraussucht. Zwei massive Silberringe ziehen ihre Unterlippe nach unten und geben so den Blick auf die dahinterliegende Zahnreihe frei. »Wiemunwreifif Euro furück«, bringt sie mühsam hervor. »Und wann wekommft du noch ’n Ftempl.«
»Wann bekomme ich was?«
Mein sehnlicher Wunsch nach einer Toilette erschwert die Kommunikation mit der gepiercten Kassenfrau zusätzlich, doch weil sie für lange Diskussionen offenbar auch keine Zeit hat, verdreht sie nur kurz die Augen, greift nach meinem Handgelenk und hämmert mir dann die Belohnung für sechzig Minuten Wartezeit auf die Pulsader: den Clubstempel.
»Viel Fpaf«, nuschelt sie und widmet sich dann den nächsten Gästen.
Ich eile Max hinterher, der es offenbar kaum erwarten kann, das ehemalige Heizkraftwerk zu betreten, in der sich das Berghain und die Panorama Bar befinden. Während er sich mit unseren Jacken an der Garderobe anstellt, kenne ich jetzt nur noch ein Ziel: die Toilette. Bis dahin habe ich kaum Augen für meine Umgebung und atme erst auf, als ich endlich ein freies Pissoir gefunden habe. Mit geschlossenen Augen genieße ich den Moment der Erlösung und freue mich auf die Musik, die aus dem ersten Stock donnert, und auf das Spektakel, das uns bevorsteht. Schon in der Warteschlange waren wir umringt von bärtigen Muskelmännern in Bomberjacken und schwarzen Lederhosen, von Spaniern, die zu fünft sechs Joints geraucht haben, und von Mädels, deren Kleidung mehr enthüllte, als sie verbarg.
Zwei sonore Stimmen reißen mich aus meinen Träumen, und als ich die Augen wieder öffne, haben sich die Schatten zweier Muskelgiganten links und rechts neben mir aufgebaut. Zwischen ihnen komme ich mir trotz meiner Körpergröße von eins neunzig augenblicklich winzig vor.
»Scheiß Hipster!«, meint der linke, dessen baumstammförmiger Oberarm sich auf meiner Kopfhöhe befindet. »Ich hoffe, die verkrümeln sich alle schön in den zweiten Stock.«
Ich denke darüber nach, ob er damit vielleicht mich meint, und tue deswegen besser so, als wäre ich gar nicht da.
»Echt mal«, brummt die tiefe Stimme von der rechten Seite, »von mir aus könnse die ganzen Freaks direkt wieder nach Hause schicken!«
Toleranz wird bei den beiden wohl nicht gerade großgeschrieben, aber wer weiß, was sie sich in ihrem Leben schon so alles anhören mussten. Glücklicherweise ist ihr Geschäft schnell erledigt, also stiefeln sie gemeinsam zum Waschbecken, sodass ich aus dem Augenwinkel einen vorsichtigen Blick auf die Kolosse werfen kann. Außerhalb einer Großstadt wäre ihr Outfit wohl der beste Hinweis darauf, die Beine in die Hand zu nehmen und um sein Leben zu laufen, aber im Berghain gehören Springerstiefel und Armeehosen offenbar zum guten Ton. Bis auf die Augenbrauen und einen akkurat rasierten Bart scheinen die beiden – auch unter ihren Netzhemden – vollkommen haarfrei zu sein. Mit einer Hand, die so riesig ist wie ein Bund Bananen, öffnet der Größere der beiden die Toilettentür und bemerkt dabei meinen Blick, obwohl ich ihn schnell abwende.
Zu spät.
»Na, Süßer, Berghain-Premiere?«, fragt er und funkelt mich aus eisblauen Augen interessiert an. »Keine Angst, Zuckerpuppe, irgendwann ist immer das erste Mal …« Dann zwinkert er mir zu und verlässt mit seinem stilistischen Zwilling den Raum.
Ich wundere mich einen Moment, dass er mir nicht ein paar aufs Maul gegeben hat, und bin fast ein bisschen stolz darauf, ihm zu gefallen. Dann erinnere ich mich wieder daran, dass ich in meiner alten Berliner Wohngegend, dem Motzstraßen-Kiez, der auch als Lack-und-Leder-Mekka der Hauptstadt bekannt ist, häufiger diesen Typ Mann getroffen habe. Man nennt diese extrem durchtrainierten, häufig bärtigen Schwulen liebevoll Muscel Marys, weil sich hinter der harten Muskelschale ein ausgesprochen freundlicher – und humorvoller – Kern verbirgt. Der tut ganz sicher nichts, der will nur spielen …
»Was hat denn so lang gedauert?«, fragt Max, der vor der Toilettentür
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