Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
den Weg zum Herrn Jesus Christus gefunden?«
»Meine Meinung spielt bei der Befragung keine Rolle«, antworte ich wahrheitsgemäß und bitte sie dann erneut um die Teilnahme am Interview.
»Nein!«, brüllt Thomas von hinten. »Die Alte ist weich im Keks, leg auf!«
Glücklicherweise verneint meine Gesprächspartnerin erneut, teilt mir mit, noch heute drei Rosenkränze für mich zu beten, und spricht dann so lange vom Tag des Jüngsten Gerichts, bis Thomas zu meinem Platz kommt und mit einer Tastenkombination das Gespräch beendet. »Keine Interviews mit Geisteskranken«, empfiehlt er mir und wählt in der Suchmaske den Eintrag »Zielperson kann dem Gespräch nicht folgen« aus.
Alle weiteren potenziellen Opfer meiner Anfragen haben wichtigere Dinge zu tun, als mit mir zu sprechen. Eine Dame hat den klassischen Kuchen im Ofen, bei der nächsten wurde der Hund gerade operiert, ein anderer entschuldigt sich mit den Worten, zu nichts eine Meinung zu haben, und wieder ein anderer verabschiedet sich mit der Empfehlung, mir meine Fragen dahin zu schieben, wo nur sehr selten die Sonne scheint. Nach einer knappen Stunde ist meine Frustrationstoleranz am Boden, also nehme ich mein Headset ab und reibe mir die Augen.
Muss ich mir das wirklich antun? Womit habe ich das verdient? Nach fünf Jahren, die ich fast täglich in Seminarräumen, Hörsälen und Bibliotheken verbracht habe, bin ich plötzlich auf einen Job als Befragungsroboter angewiesen? Als ich kurz davor bin, eine Entscheidung zwischen Lachen und Weinen zu treffen, tippt mich Nina an der Schulter an. »Lissin änt lörn!«, meint sie, greift sich mein Headset und setzt es sich auf den Kopf. Kurze Zeit später stellt sie sich meinem nächsten Gesprächspartner als Charlotte Sommer vor, die nur ein paar ganz kurze Fragen hätte. »Danke, Ihre Stimme gefällt mir auch!«, höre ich sie zwitschern, bevor ihre Mundwinkel wieder nach unten fallen und sie den Mann in der Strippe sachlich darüber informiert, ihn nun an einen Kollegen zu vermitteln. Das bin dann wohl ich.
»Nichts zu danken«, meint sie lächelnd, als sie mir meinen Kopfhörer wieder zurückgibt.
Das folgende Interview verläuft vollkommen problemlos. Nachdem Thomas eine Handvoll Seminarteilnehmer zu sich gerufen und sie in ein separates Zimmer zur Feedbackrunde gebeten hat, holen diese kurz darauf ihre Sachen und verlassen das Büro. Darunter ist auch mein Freund aus dem Fahrstuhl, der zum Abschied einen Papierkorb durch die Gegend tritt.
Feierlich erklärt Thomas im Anschluss den Rest der Teilnehmer zu offiziellen Imameifo-Interviewern und teilt uns unsere vierstelligen Personalnummern mit, die ab sofort wichtiger als unsere Namen sind. Bei Regelverstößen, erläutert Thomas abschließend, würden wir Verwarnungen erhalten, die bei gehäufter Anzahl zu einer Sperre führen können, weshalb wir im schlimmsten Fall noch einmal diese Schulung besuchen müssten. Hinter dem Monitor zeigt ihm Nina den Mittelfinger.
Auf unserer abschließenden Führung durch das Telefonstudio präsentiert er uns die weiteren hundertzwanzig der insgesamt einhundertachtzig Arbeitsplätze, dann dürfen wir nach Hause gehen. Im Treppenhaus bedanke ich mich bei Nina für die Starthilfe und radle dann in Höchstgeschwindigkeit davon: als Diplompädagoge, Ex-Lehrer und Vater einer neun Monate alten Tochter, und, ganz neu in meiner Biografie zu finden, der Callboy mit der Nummer 7 856, der Ihnen gern ein paar Fragen stellen würde. Auf einer Skala von 10 »Mir scheint die Sonne aus den Ohren« bis 1 »Ich würde am liebsten im Boden versinken« würde ich momentan die Null wählen – was vermutlich aber nicht den hohen Qualitätsstandards des Imameifo entsprechen würde.
6
DER WAHRSCHEINLICH BESTE CLUB DER WELT
G anz nett hier, oder?«
»Joa.«
Obwohl der Tisch im Restaurant vor Tapas und Sangria überquillt, will nicht so recht Stimmung aufkommen. Weder bei Sarah und mir noch bei unseren Freunden. Das mag mit dem zweifelhaften Grund unseres Treffens zusammenhängen.
»Auf Philipps neuen Job«, ruft Nuray in die Runde, »in dem er sich nicht mehr mit Chaos-Kids rumschlagen muss!«
Unsere gute Freundin hat ein Lehramtsstudium absolviert und ist inzwischen im Referendariat, weiß also genau, wovon sie spricht. Was sie wiederum nicht weiß, ist der Umstand, dass ich meinen Lehrerjob nach ein paar Tagen im Callcenter ernsthaft vermisse. Wenigsten konnte ich im Klassenraum noch etwas bewegen und Ansprechpartner für die
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