Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
wartet. Er reicht mir eine Garderobenmarke, die ich in der Hosentasche meiner Jeans verstaue, aber noch bevor ich eine Antwort geben kann, weist er auf eine frei stehende Stahltreppe, die aus dem Zentrum des Erdgeschosses nach oben in den ersten Stock führt. »Let’s rock!«
Der kalte Stahl des Treppengeländers vibriert im monotonen Rhythmus der Musik, die von oben auf uns herabdonnert und mir schon jetzt durch Mark und Bein geht. Mit jeder Stufe steigt die Lautstärke, auch Temperatur und Luftfeuchtigkeit nehmen stetig zu. Am Ende der Treppe werden die Menschen vor uns von dichtem Disconebel verschluckt, während neben ihnen leicht bekleidete Damen und Herren dem Rauch entsteigen und uns mit glänzenden Augen entgegenkommen. Wenige Momente später verschwindet Max im weißen Dunst, dann tauche auch ich in die Wolkenfront ein.
Für einen Augenblick nehme ich nichts weiter wahr als den Bass, der sich wie eine Ganzkörpermassage anfühlt. Mit kleinen Schritten taste ich mich voran, dann lichtet sich der Nebel langsam und legt die Tanzfläche vor meinen Augen frei. Zuerst erkenne ich die vier gigantischen Lautsprecher wieder, aus denen der ohrenbetäubende, gleichmäßige Beat hämmert. Zwischen ihnen zeichnet sich nach und nach die Masse tanzender Gestalten ab, deren Bewegungen durch schnelles Stroboskoplicht unnatürlich und abgehackt erscheinen. Zwischen schweißnassen Körpern, die rechts und links an mir vorbeigleiten, werde ich hin und her gestoßen und beobachte dabei mit offenem Mund das Treiben. Max zieht mich zur Seite und brüllt mir ins Ohr: »Komm, lass tanzen!«
Abgesehen davon, dass Tanzen noch nie meine Stärke war, fällt mir in diesem Moment ein, dass ich vollkommen aus der Übung bin – wie tanzt man noch mal zu diesem Vierviertel-Rums-Rums? Im Schutze der Dunkelheit, die ungefähr viermal pro Sekunde von grellem Licht durchbrochen wird, gebe ich mich zögerlich dem Bass hin, der meinen ganzen Körper in Schwingungen versetzt. Ich schließe die Augen und versuche, mich von dem hypnotisierenden Rhythmus einlullen zu lassen. Es dauert zwar einige Minuten, aber siehe da: Es funktioniert! In meinen frühen Zwanzigern hüpfte ich als passionierter Drum&Bass-Tänzer gern stundenlang zu den abwechslungsreichen und treibenden Beats dieser Musik in dunklen Kellerclubs herum. Damals hassten wir das eintönige Vierviertel-Geklapper, zu dem kostümierte Landeier auf der Love-Parade feierten und anschließend in den Büschen des Berliner Tiergartens verschiedenste Dinge mit ihren Geschlechtsteilen anstellten. Doch hier, in der surrealen Welt des Berghains, erlebe ich die anregende und trotzdem beruhigende Wirkung lauter und gleichmäßiger Musik.
Auch Max wurde schon davon ergriffen. Der Beat ändert sich langsam, meine Bewegungen lockern sich. Die anderen Tänzer um uns herum wirken genauso tief versunken in den treibenden Rhythmus. Ein breites Grinsen überzieht mein Gesicht, was die Dame neben mir bemerkt und mich dafür mit einem Kuss auf die Wange belohnt. Nichts Sexuelles schwingt dabei mit – was sie mir vermittelt, ist pure Freude. Der Beat ändert seine Schlagzahl und geht mir sofort durch Mark und Bein. Endorphine schicken eine wundervolle Gänsehaut vom Nacken bis zum Hintern, allen anderen scheint es ähnlich zu gehen: Mit den Armen in der Luft jubeln und pfeifen sie vor Freude darüber, dass der DJ sie mit auf eine neue Reise nimmt und mit Bässen anfeuert. Die Zeit verfliegt, der DJ treibt uns immer weiter und belohnt uns in unregelmäßigen Abständen mit minimalen Veränderungen, die von der tanzenden Masse maximal gefeiert werden. Mit geschlossenen Augen lasse ich mich immer tiefer in Trance fallen, distanziere mich immer weiter von meinem Alltag und merke dabei nicht, dass ich mich dabei auch langsam, aber sicher von Max entferne.
»Also doch zum ersten Mal hier!«, reißt mich eine bekannte Stimme aus dem Tanz-Rausch. Sie gehört dem Muskelgiganten vom Klo, der mich erneut mit seinen stahlblauen Augen anfunkelt. Erst jetzt fällt mir auf, dass um mich herum ausschließlich Männer tanzen. In Lederhosen und engen T-Shirts − wenn überhaupt. Anscheinend habe ich die unsichtbare Trennlinie überschritten, die in der Mitte der Tanzfläche verläuft und die Homos von den Heten trennt. Unter der betäubenden Wirkung der Musik bin ich wohl in fremde Gewässer geraten und quasi als Salzwasserfisch im Süßwasser gelandet.
»Euer Team tanzt da drüben, unseres hier«, gibt er mir nett, aber
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