Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
deutlich zu verstehen, was ich mir angesichts der überzeugenden Sachlage zu Herzen nehme und schnell zum anderen Ufer tanze. Ein paar musikalische Highlights später ruft die Natur wieder, eine Toilette muss her. Max deutet auf eine rot beleuchtete Sofalandschaft hinter der Tanzfläche, auf der es sich viele Männer miteinander ziemlich bequem gemacht haben. Auf unserem Weg durch diese Spielwiese werden wir weitgehend ignoriert, doch kurz bevor wir unser Ziel erreicht haben, bleibe ich wie angewurzelt stehen.
»Was’n los?«, will Max wissen. Wortlos zeige ich auf eine hagere Frau mit schwarzen Haaren, die auf einem der Polstermöbel zwischen zwei Typen sitzt, mit denen sie abwechselnd knutscht. »Kennste die etwa?«
»Das ist Nina, eine Kollegin aus’m Callcenter.«
Als hätte sie ihren Namen gehört, was bei der Lautstärke der Musik aber vollkommen unmöglich ist, schaut sie plötzlich zu uns herüber, stößt dann ihren aktuellen Kusspartner beiseite und erhebt sich vom Sofa. Ohne den Blick von mir zu lösen, kommt sie auf uns zu und stellt sich dann Max vor. Ihr silbernes Oberteil lässt nicht viel Raum für Fantasie, und unter ihrem kurzen Röckchen trägt sie eine Strumpfhose im Leopardenmuster. Mir drückt sie unvermittelt einen feuchten Kuss auf die Wange, der einen kleinen Moment zu lang dauert.
»Was habt ihr beiden Hübschen denn vor auf’m Klo?« Ihre Worte haben den seltsamen Klang eines alten Walkmans, dessen Batterien sich dem Ende neigen. Wir erklären ihr, die Toilette tatsächlich nur für ihren eigentlichen Zweck gebrauchen zu wollen, woraufhin sie den Kopf in den Nacken wirft und die Hände in die Hüften stemmt. »Gott, wie langweilig! Ich besorg uns schon mal was zu trinken, dann erwarte ich euch nachher an der Bar. Verstanden? Mensch Philipp, ich freu mich so sehr, dass wir uns sehen!« Sie reißt ihre großen Augen mit dem verwischten Make-up auf. »Jetzt aber husch husch und bis gleich!« Nina kichert und hüpft zur Bar.
Max und ich verkrümeln uns in Richtung Toiletten. Dort angekommen, kriegt sich Max kaum noch ein. »Alter, deine Kollegin, was hat die denn zum Abendbrot gegessen?«
»Keine Ahnung! Vielleicht Koksschnitzel mit Crystalsoße an Magic Mushrooms, garniert mit Ecstasystreuseln?«
»Genau, und dazu ’ne Stechapfelschorle und Tollkirschplunder als Dessert. Nicht zu fassen …«
Auf dem Weg zurück zur Theke reißt Max plötzlich die Arme in die Luft und fällt einem Typen mit Wollmütze und Hornbrille um den Hals. Nachdem die beiden einige Worte gewechselt haben, stellt er ihn mir vor, doch wegen der Lautstärke verstehe ich nur Frankfurt, Werbeagentur und seit Kurzem in Berlin. Seinem Outfit nach gehört der Typ aber wohl zu denjenigen, die sich die schwulen Glatzköpfe in den zweiten Stock in die Panorama Bar gewünscht haben: Zu seinem senfgelben Schlabbershirt mit tiefem V-Ausschnitt trägt er eine hautenge Jeans und lange, spitz zulaufende Lederschuhe. Aus seinem Ausschnitt quellen dunkle Brusthaare. Weil Max und er sich offenbar viel zu erzählen haben und Gespräche hier nur von Mund zu Ohr funktionieren, stehe ich einen Moment lang wie bestellt und nicht abgeholt neben den beiden.
»Ich geh schon mal rüber an die Bar«, rufe ich schließlich über den Lärm hinweg und steuere auf Nina zu. Vor ihr steht bereits eine Flasche Club-Mate, die sie mir in die Hand drückt. »Schön, dass du jetzt einer von uns bist!«, ruft sie.
»Von euch?«
»Na, von uns Imameifos!«
»Ja, finde ich auch«, sage ich und wundere mich, dass mir diese Lüge so leicht über die Lippen geht. Vielleicht liegt es daran, dass mich das Berghain wirklich auf andere Gedanken gebracht hat.
»Wollen wir es uns gemütlich machen?« Nina zeigt auf eine freie Couch und hebt mit einer unschuldigen Geste die Hände, als sie meine hochgezogene Augenbraue bemerkt.
»Keine Angst, ich tu dir nichts!«, sagt sie. »Will bloß mal deine Story hören. Du warst doch Lehrer – ist ja ein ganz schöner Wechsel.«
Ich versorge Nina mit dem Erzählstoff, nach dem sie verlangt. Als ich die Geschichte von Jamil beende, der seine ADHS -Medikamente nicht eingenommen hatte und sich daraufhin im Sportunterricht mit mir prügeln wollte, fasst sie sich mit beiden Händen an den Kopf.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, ruft sie und kramt dann ein kleines Röhrchen mit weißem Pulver aus der Tasche. »Aber als Psychonaut interessiere ich mich natürlich für alle möglichen Substanzen! Was für Tabletten
Weitere Kostenlose Bücher