Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Welcher kommt denn eigentlich heute?«
»Münster!«, antwortet Frau Graufuß wie aus der Pistole geschossen und strahlt mich an, runzelt aber die Stirn, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht. »Mögense den etwa nich?«
»Doch, doch«, antworte ich schnell, denn in der Republik der Sonntagskommissare gibt es wohl wenig Leichtsinnigeres, als Kritik an dieser heiligen Sendung zu üben. Obwohl Sarah und ich unsere Arbeitswoche selbst gelegentlich mit einer Folge dieses nostalgischen Fernsehspiels beenden, finde ich, dass wir bei einer Folge aus Münster alles andere tun sollten, als die ARD einzuschalten.
»Also, ick kaufe denn einen, äh …« Verdutzt schaut sich Herr Graufuß abwechselnd das Kabel und den Anschluss an. »M-D-wat?«
» HDMI zu RGB -Adapter«, erkläre ich und schaue dabei in seine großen Augen. »Soll ich’s Ihnen aufschreiben?«
Noch immer derselbe Blick.
»Soll ich mitkommen?«
»Dit wäre jut«, sagt Herr Graufuß, steht auf und eilt in den Flur. Dort wirft er sich einen leichten Blouson über, der farblich mit seinen senfgelben Socken abgestimmt ist. Nur wenige Minuten später sitzen wir in einer älteren, aber sehr gepflegten Mercedes-C-Klasse.
Nach dem Einsteigen stellt Herr Graufuß erst einmal den Sitz ein, sodass er nur wenige Zentimeter aufrecht hinter dem Lenkrad thront. »So, jetzt die Brille«, murmelt er leise und greift nach dem Lederetui, das auf dem Armaturenbrett befestigt ist. Auch die elektrisch verstellbaren Außenspiegel müssen genau justiert werden, bevor es losgehen kann, was eine weitere Minute in Anspruch nimmt. Dann schnallt er sich an, startet den Motor und bringt den Automatikwahlhebel in Fahrposition. Als er die Handbremse gelöst hat, rollen wir schließlich in halber Schrittgeschwindigkeit los.
Geduld war noch nie meine Stärke, doch nun werde ich mich wohl in genau dieser Tugend üben müssen. Geräuschlos gleiten wir über den Asphalt, als uns ein Fahrradfahrer rechts überholt und verwundert nach Herrn Graufuß schaut. Dessen Blick weicht allerdings nicht ein einziges Mal von der Straße, sodass er auch die Autoschlange, die sich in der 50-Zone hinter ihm bildet, nicht zu bemerken scheint. Diese wohl wörtlichste Form der Rücksichtslosigkeit wird komischerweise nur selten als solche erkannt.
Während der Fahrt versuche ich zweimal, die Stille durch eine Unterhaltung zu beenden, aber die einsilbigen Antworten des Fahrers machen nicht gerade Lust auf mehr. Endlich am Ziel angekommen, entdeckt er eine doppelte Parklücke, die er nach einigen Versuchen mittig belegt. Dann stellt er mit derselben Genauigkeit wie beim Losfahren den Motor wieder ab, verstaut seine Brille im Etui und verlässt den Wagen. Mit zusammengekniffenen Augen und gebleckten Zähnen zielt er mit der Fernbedienung auf den Innenspiegel, kontrolliert anschließend mehrfach die verschlossene Tür und folgt mir zum Eingang.
Ist es eigentlich ein Naturgesetz, dass Männer – ohne es zu merken – mit fortschreitendem Alter oft etwas sonderbar werden? Ist es genetisch bedingt, dass sie ihre Mitmenschen und jedwedes Fingerspitzengefühl oder die Existenz von Spiegeln vergessen – sei es beim Ankleiden oder im Auto? Wann werden sich wohl bei mir die ersten Männer-Macken bemerkbar machen – oder ist es etwa schon so weit, und Sarah traut sich bloß nicht, mich darauf anzusprechen?
Als ich instinktiv nach meinem Handy greife, um mir genau diese Fragen als Erinnerung per E-Mail zu schicken, halte ich kurz inne. Es geht also schon los, zumindest die erste Macke ist fest etabliert: Ich nutze mein Smartphone als externes Zweithirn. Wer weiß, was mir ab sofort noch so alles auffällt …
Gemeinsam mit meinem Vermieter tippele ich schließlich durch die Drehtür des Elektronikmarkts, bemerke aber schon kurz nach der nächsten Hürde, dem Drehkreuz, dass ich ihn verloren habe. Ich entdecke ihn am Eingang, wo er der Aufforderung eines Schildes folgt und seinen kunstledernen Herrenhandgelenksbeutel in einem Schließfach unterbringt. Dann läuft er geradewegs in die Arme eines Vertreters für Digitalfernsehen. Der hat sich mit seinem kleinen Stand und einem großen Sonnenschirm genau dort positioniert, wo der Kundenstrom am stärksten fließt.
Nun geht es um Sekunden, ich muss sofort handeln! Bei Einkäufen mit meinen Eltern habe ich schon oft die Erfahrung gemacht, dass allein meine Anwesenheit ausreicht, um eine gewisse Waffengleichheit zwischen so manch gewieftem Verkäufer und meinen
Weitere Kostenlose Bücher